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2004:5 Welcher Glaube? Die zeitgenössische tschechische Religiosität/Spiritualität aus der Sicht der qualitativen Religionssoziologie |
Zdeněk R. Nešpor |
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Der sechs Studien umfassende Sammelband, an dessen Entstehung die Mehrheit der an verschiedenen Forschungsinstituten wirkenden tschechischen Religionssoziologen mitwirkte, fasst die wichtigsten Erkenntnisse der heutigen qualitativen Religionssoziologie in der Tschechischen Republik zusammen und zeichnet gleichfalls die religiös/spirituelle Entwicklung von 1989 bis heute in ihren europäischen Zusammenhängen auf. Dabei wird sowohl auf die wichtigsten Entwicklungstrends der tschechischen Religiosität einschließlich ihres institutionellen Rahmens in Gestalt von Gesetzgebung und normativer Politik einerseits, sowie der nicht organisierten privaten Frömmigkeit andererseits hingewiesen. Der Sammelband dringt außerdem mit Hilfe von Fallstudien und anthropologisch orientierten Untersuchungen tiefer zu den religiösen Vorstellungen der Gläubigen vor.
Im einleitenden Artikel fasst Z. R. Nešpor den derzeitigen Stand der tschechischen Religionssoziologie zusammen. Derselbe Autor skizziert in der zweiten, von ihrem Vorhaben her umfangreichsten Studie die wesentlichen Entwicklungstrends der zeitgenössischen tschechischen Religiosität, insbesondere im Zusammenhang mit den Veränderungen der politischen, wirtschaftlichen, medialen und kulturellen Rahmenbedingungen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts und an der Schwelle des neuen Jahrtausends. Der zeitgenössischen (traditionell-)kirchlichen Frömmigkeit sind die Studien von O. Nešporová (die sich mit der Problematik der Konzeptualisierung des Todes und der Existenz nach dem Tode befasst) und M. Staněk (der das Phänomen der katholischen sog. privaten Visionen untersucht) gewidmet. D. Antalík befasst sich mit der „Suche nach dem Heiligen“ in Form angeblicher vorchristlicher keltischer Traditionen und den damit zusammenhängenden sozialen Gruppen. D. Lužný nimmt eine Analyse der zeitgenössischen Mediendiskussion über neue religiöse Bewegungen und der Einstellung des Staates zu diesen anhand von Beispielen der Scientology-Kirche und der Vereinigungskirche (Moon-Sekte) vor.
Schlüsselwörter
Religionssoziologie, moderne Religiosität; Tschechische Republik 1993-; Christentum - 20. Jahrhundert; Europäische Union - Erweiterung
Zusammenfassung
Der Sammelband von sechs Studien tschechischer Religionssoziologen zeichnet die religiös/spirituelle Entwicklung von 1989 bis heute in ihren (west-)europäischen Zusammenhängen auf. Dabei wird sowohl auf die wichtigsten Entwicklungstrends der tschechischen Religiosität einschließlich ihres institutionellen Rahmens in Gestalt von Gesetzgebung und normativer Politik einerseits, sowie der nicht organisierten privaten Frömmigkeit andererseits (D. Lužný, Z. R. Nešpor) hingewiesen. Mit Hilfe von thematischen und Fallstudien sowie sozial-anthropologisch orientierten Untersuchungen werden diese Trends anhand ausgewählter religiöser Gruppierungen aufgezeigt (D. Antalík, O. Nešporová, M. Staněk). Daneben erhält der Leser Informationen über den derzeitigen Stand der tschechischen Religionssoziologie und seine Ursachen, und es werden mögliche Richtungen und Prioritäten der weiteren Entwicklung dieser Disziplin in Tschechien skizziert (Z. R. Nešpor).
In seiner einleitenden Studie charakterisiert Z. R. Nešpor die derzeitige tschechische Religionssoziologie, für die zwar die Teilnahme an internationalen quantitativen Untersuchungen (sowie die Durchführung eigener quantitativer Untersuchungen) typisch ist, in der jedoch qualitative Untersuchungen bis auf wenige Ausnahmen völlig fehlen. Der Autor bringt diese Situation in Zusammenhang mit dem Gesamtzustand der tschechischen Soziologie nach dem Fall des kommunistischen Regimes, mit dem früheren theoretischen und methodischen Hintergrund der Religionssoziologie und schließlich auch mit der illusorischen Vorstellung vom „atheistischen“ Wesen der tschechischen Gesellschaft. In Anknüpfung an aktuelle ausländische Untersuchungen weist Nešpor auf die Wichtigkeit der Religionssoziologie bei der Untersuchung der breiteren Zusammenhänge der europäischen Integration und beim Studium der Wirtschaftskultur hin. Daneben merkt er freilich auch an, dass sich die Religionssoziologie in Tschechien einerseits gegen die Bemühung religiöser Gruppierungen wehren muss, die Erkenntnisse der Religionssoziologie für eigene Interessen zu nutzen (so wie dies derzeit bei der Argumentation sog. Antikult-Bewegungen der Fall ist), andererseits aber auch gegen die implizit antireligiöse Einstellung eines Teils der wissenschaftlichen Gemeinde.
In seiner Studie Ústřední vývojové trendy současné české religiozity (Zentrale Entwicklungstrends der zeitgenössischen tschechischen Religiosität) behandelt Z. R. Nešpor globale religiöse Prozesse, die sich in der heutigen tschechischen Gesellschaft abspielen. Nešpor nutzt dabei die Ergebnisse vorhandener quantitativer Untersuchungen, vor allem aber eigener qualitativer soziologischer und bis zu einem gewissen Maße auch geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen; er vergleicht die Lage in Tschechien mit Untersuchungen ausländischer Kollegen, insbesondere vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Veränderungen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts und im Zusammenhang mit dem tschechischen EU-Beitritt. Der Autor gelangt zu der Feststellung, dass nur ein Teil der in Tschechien stattfindenden religiösen Prozesse mit jenen in Westeuropa vergleichbar ist (Anstieg der außerkirchlichen, privaten und sogar antiklerikalen Frömmigkeit, dabei jedoch ausgeprägter und offensichtlich auch viel früher, als es anderswo der Fall war; Enttraditionalisierung; Wachstum neue spiritueller Möglichkeiten, die sog. Religiosität des New Age oder in geringerem Umfang auch die charismatischen und/oder Pfingstlerbewegungen innerhalb des Christentums). Ein bedeutender Teil der derzeitigen religiösen Prozesse entspringt freilich den historischen und soziokulturellen Institutionen der tschechischen Gesellschaft. Es handelt sich hier beispielsweise um eine gewisse Entprivatisierung der Religion, bei der die traditionellen Kirchen nach der Periode der Unterdrückung durch das "übersäkularisierte" kommunistische Regime in die Politik und in den öffentlichen Raum zurückkehren, aber auch um eine (dem entgegenwirkende) historisch begründete antiklerikale Haltung eines großen Teils der tschechischen Öffentlichkeit.
O. Nešporová befasst sich mit der inneren religiösen Erfahrung und deren existenzieller Dimension, sowie mit der Problematik der Konzeptualisierung des Todes und der Existenz nach dem Tode, welche quer durch die religiösen Gruppierungen, von den traditionellen Kirchen (Katholiken, Protestanten), bis hin zu relativ neuen Gruppen (Zeugen Jehovas, Hare-Krischna-Bewegung) zu verzeichnen ist. Existenzielle Fragen gehören selbstverständlich zu den wichtigsten Elementen der religiösen Verkündung und der Vorstellungen der Gläubigen; die Autorin hat dabei festgestellt, dass diese Vorstellungen im Falle kleinerer religiöser Gruppierungen öfter explizit ausgedrückt und im Rahmen der Gruppierung von größerer Kohärenz sind, als dies bei den traditionellen Volkskirchen der Fall ist, bei denen von den Gläubigen implizit eine Standardlösung dieser Fragen erwartet wird, obwohl die Gläubigen selbst meist eher auf dem Boden heterodoxer, privater religiöser Vorstellungen stehen (und sich dessen oft auch bewusst sind). Die bei weitem wichtigste Quelle religiöser Vorstellungen bei den Zeugen Jehovas sind deren Kirchenzeitschriften, während die Krischna-Anhänger diese Vorstellungen aus der umfangreichen Literatur (insbesondere aus den Schriften des Gründers der Bewegung, Prabhupada) gewinnen; in beiden Fällen handelt es sich darüber hinaus um stark missionsorientierte religiöse Gruppen mit reger Beteiligung der Gläubigen an den Gottesdiensten, wodurch deren Einheit und orthodoxe Haltung noch betont wird. Die Anbindung existenzieller Vorstellungen traditioneller Christen an die biblische Tradition bzw. an offizielle religiöse Schriften ist demgegenüber weitaus geringer ausgeprägt. Während die Protestanten dabei in der Regel die eigene Unsicherheit und mangelnde Kompetenz zur Klärung dieser Fragen zur Sprache bringen, verfügen die Katholiken in dieser Hinsicht über bestimmtere, wenn auch vom Standpunkt ihrer Kirche aus oftmals heterodoxe Vorstellungen.
Ähnliche Trends innerhalb der katholischen Frömmigkeit verzeichnete auch M. Staněk, der sich in seiner Studie mit eine Bewegungen befasste, die aus den sogenannten privaten (Marien-)Erscheinungen hervorgeht und die im Grenzbereich des katholischen Fundamentalismus und einer heterodoxen von der Kirche nicht tolerierten Frömmigkeit steht (wobei es sich aber gleichzeitig um eine „papst-zentrische“ Bewegung). Im Rahmen der katholischen Kirche kam es insbesondere im 20. Jahrhundert zu einer starken Häufung von Marienerscheinungen, wobei diese sich gegen Ende des Jahrtausends radikalisieren, apokalyptische Züge annehmen und immer öfter von der Wiederkehr Christi sprechen, welcher reinigende Strafen vorausgingen. Von den weltweiten Bewegungen, die auf dieser Grundlage entstanden, sind in Tschechien insbesondere die Marianische Priesterbewegung und das Fatima-Apostolat tätig, während die Vassula-Gemeinde "Děti Nejsvětějšího Srdce" ganz klar am Rande steht.
Die Studie von D. Antalík befasst sich mit einer anderen Spielart neuer Religiosität, welche auf die spirituelle Unsicherheit der Moderne mit dem Versuch einer Rückkehr zu den angeblichen vorchristlichen Wurzeln der europäischen Kultur, mit denen die keltische Zivilisation gemeint ist, reagiert. Der Autor untersucht die Entstehung und Entwicklung britischer und frankophoner Neodruidengruppen, die er in drei Hauptlinien gliedert (den „esoterischen“ Zweig J. Tolands, den „mutualistischen“ Zweig H. Hurles und die von E. Williams geprägte „Erweckungsgestalt“ des Neodruidismus), sowie deren Beeinflussung durch Gardners Neopaganismus. Der Autor stellt fest, dass das nach 1989 enorm gestiegene Interesse an diesen Gruppen und (insbesondere) an ihren Produkten in Tschechien eher indirekt und durch kommerzielle Interessen und/oder durch die Idealisierung der sog. keltischen Kunst- und Kulturformen vermittelt ist. Im Unterschied zu Westeuropa handelt es sich nicht um ausgeprägte Neodruidengemeinschaften, was offenkundig mit der stark antiklerikalen Einstellung der tschechischen Gesellschaft zusammenhängt.
In der abschließenden Studie verfolgt D. Lužný anhand zweier ausgewählter Beispiele (der Mediendiskussion über die Scientology-Kirche und des Kampfes der Vereinigungskirche um offizielle Anerkennung) das Wirken von Macht- und Repressionselementen der Gesellschaft. Der Autor weist auf die auch aus Westeuropa bekannte Tatsache hin, dass die Medienmanipulation und die Standpunkte der staatlichen Organe oftmals aus der Position sog. Antikult-Bewegungen beeinflusst werden, so dass sich der Religionsmarkt nicht voll durchsetzt. Medien und einflussreiche politisch-religiöse Organisationen nutzen und verstärken dabei negativ besetzte stereotype Vorurteile oder rufen dieser unter dem Vorwand einer „objektiven“ Untersuchung direkt hervor. In der Tschechischen Republik kam es damit auch nach Verabschiedung des ersten postkommunistischen Kirchengesetzes (Gesetz Nr. 308/1991) zur Diskriminierung und Unterdrückung (neuer) religiöser Bewegungen, wobei diese Tendenz wohl in erheblichem Maße auch unter den neuen, durch das im Jahr 2002 in Kraft getretene Kirchengesetz (Gesetz Nr. 3/2002) gegebenen Bedingungen fortgesetzt werden wird.
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Jaká víra? Současná česká religiozita/spiritualita v pohledu kvalitativní sociologie náboženství |
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