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2006:4 Das Phänomen der Kinderlosigkeit in soziologischer und demographischer Perspektive |
Hana Hašková (ed.), Petra Šalamounová, Hana Víznerová, Lenka Zamykalová |
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In dieser Publikation widmet sich das Autorenteam der freiwilligen und der unfreiwilligen Kinderlosigkeit mit Schwerpunkt auf der Untersuchung dieses Phänomens in der tschechischen Gesellschaft. Ziel der Publikation ist es, die Erforschung der Kinderlosigkeit (einschließlich der aktuellen steigenden Kinderlosigkeit, der sinkenden Fruchtbarkeit und des Aufschubs der Elternschaft in ein höheres Alter) in der tschechischen Gesellschaft in einen breiteren Rahmen der Fach- und Medienreflexion dieser soziodemographischen Erscheinungen sowie in den Kontext der relevanten internationalen demographischen Daten und nicht zuletzt auch der Einstellungen der in diesem Bereich aktiven Bürger- und Lobbyverbände zu setzen. Einleitend wird in der Publikation auf die vielfältigen Erscheinungsformen der Kinderlosigkeit, ihrer Erforschung und ihrer gesellschaftlichen Reflexion hingewiesen. Die umfangreiche zweite Abhandlung bringt eine Übersicht der grundlegenden demographischen Daten zur Kinderlosigkeit in Tschechien, eine Analyse der Fachdiskussion über den aktuellen Anstieg der Kinderlosigkeit, die sinkenden Fruchtbarkeitsraten und den Aufschub der Elternschaft in ein höheres Alter in Tschechien (und weiteren Ländern Mittel- und Osteuropas) sowie eine Kategorisierung der Forschungstheorien dieser soziodemographischen Erscheinungen. Diese Abhandlung konzentriert sich auf die Aufdeckung der Lücken in der bisherigen Erforschung der Kinderlosigkeit in Tschechien und stellt ein Konzeptmodell der von einem Autorenteam durchgeführten Forschung vor, mit dem diese Lücken geschlossen werden sollen. Der dritte Text stellt eine demographische Analyse dar, in der der transversale und der Generationsblickwinkel im Bezug auf die Erforschung der Kinderlosigkeit und die relevanten Charakteristiken der Fruchtbarkeits- und Eheschließungsraten in europäischen Ländern verglichen wird. Abschließend wird eine Prognose zur zukünftigen Entwicklung der Kinderlosigkeit in Europa und insbesondere in Tschechien gestellt. Die folgende Abhandlung bringt eine qualitative Analyse einer weltweiten E-Mail-Diskussion freiwillig kinderloser Menschen und antwortet auf zwei grundlegende Fragen: Wie reflektieren freiwillig kinderlose Menschen, die in den Gesellschaften der euro-amerikanischen Zivilisation eine Minderheit darstellen, das Umfeld der Majorität, in der die meisten Erwachsenen bereits Eltern sind oder sich eine Elternschaft wünschen? Und welche Arten der sog. „childfrees“ kann man ausmachen? Die letzte Abhandlung analysiert und vergleicht das Bild der biologischen Kinderlosigkeit und das Bild der niedrigen Fruchtbarkeit in den tschechischen Medien zwischen 1994 und 2004, d.h. in der Zeit, in der Tschechien die niedrigsten allgemeinen Fruchtbarkeitsraten in der Geschichte des Landes erreichte. Die Publikation wird von einer kurzen Zusammenfassung abgeschlossen, in der die Schlussfolgerungen der einzelnen Kapitel zusammengefasst werden.
Schlüsselworte
Kinderlosigkeit, Aufschub der Elternschaft, Rückgang der Fruchtbarkeit, freiwillige Kinderlosigkeit, unfreiwillige Kinderlosigkeit, Mittel- und Osteuropa
Zusammenfassung
In diesen Soziologischen Studien haben wir das Forschungsprojekt „Das Phänomen der Kinderlosigkeit im Kontext der sozialen Veränderungen in der tschechischen Gesellschaft“ vorgestellt, in dem wir die freiwillige und die unfreiwillige Kinderlosigkeit erforschen. Wir haben uns dabei auf die Schaffung eines breiteren Forschungsrahmens für das Studium der Kinderlosigkeit, des Rückgangs der Fruchtbarkeit und die Aufschiebung der Elternschaft in ein höheres Alter in der tschechischen Gesellschaft konzentriert.
Am Anfang der Soziologischen Studien weist Hana Hašková auf verschiedene Formen der Kinderlosigkeit hin – z.B. freiwillige, unfreiwillige, vorübergehende oder endgültige (lebenslange) Kinderlosigkeit, Unfruchtbarkeit, Sterilität oder Kinderlosigkeit aus kulturellen oder sozialen Gründen. Des weiteren identifiziert sie das Studium der Kinderlosigkeit aus dem Blickwinkel verschiedener wissenschaftlicher Fächer. Nicht zuletzt weist sie auch auf die Wichtigkeit der Reflexion der direkten oder vermittelten Konsequenzen der einschlägigen Forschung auf die Gesellschaft hin. Sie denkt über die Vielfalt der Kinderlosigkeit und die Erforschung und gesellschaftlichen Reflexion der Kinderlosigkeit nach und weist auch auf die folgenden Abhandlungen der Soziologischen Studien hin.
In der zweiten Abhandlung stellt Hana Hašková die grundlegenden demographischen Daten über die Kinderlosigkeit in der tschechischen Gesellschaft vor, analysiert die Fachdiskussion zum aktuellen Anstieg der Kinderlosigkeit, zu den rückläufigen Fruchtbarkeitsraten und zur Aufschiebung der Elternschaft in ein höheres Alter in Tschechien und in weiteren Staaten Mittel- und Osteuropas und identifiziert die grundlegenden Theorien sowie die methodologischen Lücken in der Untersuchung der Kinderlosigkeit in der tschechischen Gesellschaft. Anschließend zeigt sie den Weg einer weiteren möglichen Entwicklung der Theorie und Methodologie in diesem Bereich auf.
Im Rahmen der Fachdiskussion zum aktuellen Anstieg der Kinderlosigkeit, zu den rückläufigen Fruchtbarkeitsraten und zur Aufschiebung der Elternschaft in ein höheres Alter in Tschechien und in weiteren Staaten des ehemaligen Ostblocks identifiziert sie mehrere grundlegende Dimensionen: die Dimension der kulturellen und strukturalen Faktoren, welche die diskutierten soziodemographischen Veränderungen beeinflussen, die Dimension der positiven und negativen Auswirkungen sozioökonomischer und politischer Transformationen in den untersuchten Regionen, die Dimension der Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit der Werte der relevanten soziodemographischen Indikatoren in Europa, die Dimension der Auswertung der Veränderungen im Reproduktionsverhalten als Krise oder Übergang, die Dimension des Individualismus und der Kollektivität im Rahmen der Handhabung der aktuellen Veränderungen im Reproduktionsverhalten und die Dimension der Veränderung und der Stabilität der wissenschaftlichen Diskurse über die Veränderungen im Reproduktionsverhalten. Im Hinblick auf die theoretische Grundlage der Fachdiskussion zum aktuellen Anstieg der Kinderlosigkeit, zu den rückläufigen Fruchtbarkeitsraten und zur Aufschiebung der Elternschaft in ein höheres Alter in Tschechien und in weiteren Staaten Mittel- und Osteuropas identifiziert die Autorin insbesondere die Theorie der Individualisierung und der kulturellen Veränderung, die Theorie der rationalen Wahl und die Theorie der sozialen Anomie. Des weiteren argumentiert sie für die Einbeziehung weiterer theoretischer Ansätze in die Erforschung der aktuellen Veränderungen im Reproduktionsverhalten im untersuchten geographischen Gebiet, insbesondere die Theorie der sozialen Netzwerke und die Theorie der Gender-Gerechtigkeit. Bezüglich der methodologischen Lücken in der bisherigen Erforschung der Kinderlosigkeit in der tschechischen Gesellschaft weist sie insbesondere auf die unzureichende Verknüpfung von qualitativen und quantitativen Forschungsansätzen, die Trennung von retrospektiven und prospektiven Untersuchungen und die teilweise vorhandene Gender- und Generationsblindheit der Untersuchungen hin. Anhand einer kurzen Illustration der Hauptforschungsthemen, der Methodologie und des konzeptualen Modells des Forschungsprojekts „Das Phänomen der Kinderlosigkeit im Kontext der sozialen Veränderungen in der tschechischen Gesellschaft“ führt die Autorin dann als Beispiel einer Untersuchung an, die bemüht ist, die oben aufgezeigten Forschungslücken zu schließen.
In der dritten Abhandlung fügt Petra Šalamounová die Erforschung der Kinderlosigkeit und der damit zusammenhängenden soziodemographischen Erscheinungen in der tschechischen Gesellschaft sowohl in transversaler als auch in Generationshinsicht in den Kontext der historischen Entwicklung der Werte verschiedener relevanter demographischer Indikatoren der Fruchtbarkeits- und Eheschließungsraten in den einzelnen europäischen Länder ein. Im transversalen Blickwinkel vergleicht sie die einzelnen europäischen Länder hinsichtlich a) der grundlegenden Charakteristika von Erstgebärenden, b) der Fruchtbarkeitsrate von Erstgeborenen, c) der Struktur der geborenen Kinder nach Geburtsreihenfolge und d) der allgemeinen Fruchtbarkeitsrate. Im Generationsblickwinkel vergleicht sie die europäischen Länder hinsichtlich a) der Anteile lediger Frauen und b) der letztendlichen Fruchtbarkeitsrate im Jahr 1965. Die Kombination des transversalen und des Generationsblickwinkels wurde von der Autorin gewählt, weil der erste Blickwinkel zwar die neuesten Trends der Fruchtbarkeitsraten verzeichnet, jedoch nicht sehr gut für eine Zeit bedeutender demografischer Veränderungen geeignet ist, und der zweite Blickwinkel wiederum nur für Generationen verwendet werden kann, die ihre Reproduktion bereits abgeschlossen haben. Ihre Analyse beschließt sie mit einem Vergleich der Anteile kinderloser Frauen in europäischen Ländern und einer Prognose der zukünftigen Entwicklung in Europa. Sie betont die Identifikation der Stellung ausgewählter soziodemographischer Parameter Tschechiens im Rahmen Europas.
Was das Alter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes anbelangt, stellt die Autorin im Jahre 2000 markante Unterschiede zwischen den ehemaligen Ostblockstaaten und den übrigen europäischen Ländern fest. Tschechien und die übrigen Länder Mittel- und Osteuropas unterschieden sich nicht nur durch ihre relativ niedrigen transversalen Fruchtbarkeitswerte für das erste Kind in höherem Alter, was man durch den Faktor des Aufschubs der Geburt des ersten Nachkömmlings erklären könnte, sondern gleichzeitig auch durch die relativ höhere Fruchtbarkeit in jüngerem Alter. Es wird deutlich, dass sich das Reproduktionsverhalten von Frauen in den osteuropäischen Ländern vom Verhalten der übrigen Europäerinnen unterscheidet, obwohl es im „Osten“ zu markanten Änderungen im Reproduktionsverhalten Richtung „Westen“ kam. Auf der anderen Seite konnte die Struktur der Reihenfolge der Geborenen nicht mit einer Grenze zwischen „Ost“ und „West“ belegt werden. Die europäischen Staaten ähneln sich in diesem Hinblick immer mehr. Analog wird es den von der Autorin ausgewählten demographischen Studien zufolge in allen europäischen Ländern zu einem Anstieg der Anzahl dauerhaft kinderloser Frauen kommen, und zwar am stärksten bei den jüngsten der bisher beobachteten (in den Jahren 1970 und 1975 geborenen) Generationen. Die endgültige Kinderlosigkeit dieser Frauen in Tschechien dürfte sich jedoch nach diesen Prognosen immer noch an der unteren Grenze des europäischen Durchschnitts bewegen.
In der anschließenden Abhandlung untersucht Hana Víznerová die Haltungen der spezifischen und schwer in der Forschung erreichbaren großen Gruppe jener Menschen, die sich für ein Leben ohne Kinder entschieden haben. Hierzu analysiert sie eine öffentlich englischsprachige E-Mail-Diskussion von Menschen, die sich für ein Leben ohne Elternschaft entschieden haben und in dieser virtuellen Community insbesondere das Verständnis von Menschen suchen, die eine ähnliche Lebensentscheidung getroffen haben. Im Rahmen der Analyse identifiziert die Autorin Themen, die ihre Teilnehmer – freiwillig Kinderlose (sog. „childfree“ Menschen) – in die Diskussion hineintragen und darin entwickeln. Es handelt sich vor allem um das Thema Egoismus und Verantwortungslosigkeit, nicht jedoch der ausschließlich freiwillig Kinderlosen (Sichtweise der Bevölkerungsmehrheit im Rahmen der Gesellschaften der europäisch-amerikanischen Zivilisation), sondern der Eltern oder der Kinder planenden Menschen. Ein weiteres bedeutendes Thema in der E-Mail-Diskussion ist die Intoleranz von Eltern und Kinder planenden Menschen gegenüber „childfree“ Menschen. Die Autorin enthüllt jedoch auch Intoleranz von „childfree“ Menschen gegenüber Eltern. Analog stellt auch die Analyse der übrigen gefundenen dominanten Diskussionsthemen (Gender-Beziehungen, Partnerschaft und Elternschaft) den Normen und Werten der Gesellschaften der europäisch-amerikanischen Zivilisation einen Spiegel aus marginalisierter Sicht vor. Die Autorin beschließt das Kapitel mit einer Kategorisierung der „childfree“ Diskussionsteilnehmer anhand ihrer Gründe zur Kinderlosigkeit sowie ihrer Einstellung zu Kindern und zur Mehrheit.
In der letzten Abhandlung präsentiert Lenka Zamykalová zunächst eine Analyse des Bildes, das in tschechischen Medien von der biologischen Kinderlosigkeit sowie der niedrigen Fruchtbarkeitsund Geburtenraten gezeichnet wird. Sie stellt fest, dass diese beiden Mediendiskussionen lediglich teilweise aufeinander Bezug nehmen. Die „biologische“ Kinderlosigkeit wird als ein Zustand beschrieben, der Mitleid und ärztliche Hilfe verdient. Als gesellschaftliches und politisches Problem wird sie nur hinsichtlich der Frage der Behandlung aus Mitteln der öffentlichen Krankenversicherung wahrgenommen. Die Rückgang der Fruchtbarkeitsraten wird hingegen als dringendes gesellschaftliches und politisches Problem definiert und mit Begriffen wie Schuld, Moral und Werteskala beschrieben. Beide Diskussionen werden in fachlichem Geiste geführt – einmal aus medizinischer Sicht, einmal aus gesellschaftswissenschaftlicher Sicht. Beide Debatten werden außerdem „feminisiert“, und zwar nicht (nur) in dem Sinne, dass vorwiegend Frauen Artikel zum Thema verfassen, sondern auch in der sozialen Definition des Problems der Kinderlosigkeit als besonders weiblichem Problem.
Insgesamt erfassen diese Soziologischen Studien die Erforschung der Kinderlosigkeit, der sinkenden Fruchtbarkeit und des Aufschubs der Elternschaft in ein höheres Alter in der tschechischen Gesellschaft, ihre fachliche und mediale Reflexion und ihre Einbettung in den Kontext der relevanten internationalen demographischen Daten sowie der Einstellungen der in diesem Bereich aktiven Bürger- und Lobbyverbände.
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