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2008:4 Soziale Distanzen und Stratifikation: der soziale Raum in der Tschechischen Republik |
Jiří Šafr, Julia Häuberer (eds.), Marta Kolářová, Kateřina Vojtíšková |
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In dieser Studie wird untersucht, wie symbolische Grenzen zur Entstehung von sozialen Hierarchien im Stratifikationsraum beitragen. Zunächst wird die theoretische Konzeption der relationalen Auffassung von Ungleichheiten angeführt: der kulturalistische Ansatz der Klassenanalyse und die Konzepte der sozialen Distanzen. In den folgenden drei Kapiteln werden subjektive Distanzen als Interaktionsbereitschaft bezüglich der 22 Berufskategorien behandelt, die im Rahmen der repräsentativen Erhebung Sociální distance 2007 (Soziale Distanzen 2007) beobachtet worden waren. Im dritten Kapitel wird beobachtet, wie durch Mechanismen der Ähnlichkeit (like-me) und des „Aufschauens“ (Prestige) soziale Distanzen hervorgebracht werden. Es überwiegt der Effekt des Referenz-Prestiges, die Ähnlichkeit äußert sich nur sehr schwach unter hochqualifizierten Fachleuten und unqualifizierten Arbeitern. Lediglich bei Arbeitern äußert sich in geringem Maße ein Klassenbewusstsein - die Bevorzugung der eigenen Gruppe. Des weiteren wird die Existenz subjektiv wahrgenommener Klassen untersucht. Es überwiegt das Statuskontinuum, in dem vier Berufscluster bzw. subjektiv wahrgenommene Klassen identifiziert wurden: hochqualifizierte Fachleute, weibliche Fachberufe, manuelle und nichtmanuelle Routinearbeiten und unqualifizierte Arbeitskräfte von geringem Prestige. Das fünfte Kapitel befasst sich mit objektiven sozialen Distanzen hinsichtlich tatsächlicher Assoziationsmuster in egozentrischen Netzwerken (drei beste Freunde des Respondenten). Hier ist der Ähnlichkeitsmechanismus (like-me) sehr stark ausgesprägt. Die Assoziationen unter den 25 Berufskategorien sind primär entlang dem Statuskontinuum angeordnet und weisen eine deutliche Grenze zwischen manuellen und nicht-manuellen Berufen auf.
Der zweite Teil ist den Vorstellungen über die Stratifikation und der Perzeption der Ungleichheiten gewidmet. Im sechsten Kapitel wird die Bedeutung der sozialen Klassen und die Zuschreibung von Eigenschaften zu gesellschaftlichen Schichten behandelt. Menschen mit niedrigem Status begreifen die Klasse insbesondere hinsichtlich ökonomischer Faktoren, während Menschen mit höherem Status sie über kulturelle Faktoren erfassen. In den folgenden Kapitel werden Daten einer qualitativen Erhebung zur Perzeption von Ungleichheiten analysiert. Im siebten Kapitel wird erläutert, was der Begriff Klasse evoziert und welche Kriterien im Verständnis dieses Begriffs verwendet werden. Angesichts seiner marxistischen Vergangenheit wird der Begriff „Klasse“ von den Befragten abgelehnt. Im achten Kapitel werden Laienkonzeptionen und die Ethnotheorie der Stratifikation aufgezeigt. Es wird untersucht, welche sozialen Kategorien in der Gesellschaft als „oben“ und „unten“ angesehen werden. Für die Bestimmung der Position in einem symbolischen Raum sind zwei Dimensionen von grundlegender Bedeutung: die materielle und Machthierarchie und die symbolische Stellung in der Gesellschaft (Anerkennung). Insgesamt gesehen, zeigen beide Erhebungen, dass man im tschechischen Umfeld heutzutage nicht von der Existenz einer korporativen Form des Klassenbewusstseins sprechen kann. Die tschechische Gesellschaft zeichnet sich eher durch das sog. kompetitive Statusbewusstsein aus, in dem die Werte des gesellschaftlichen Wettbewerbs, dessen Grundlage das individuelle Bemühen ist, allen gemeinsam sind. Die universale Gültigkeit der Leistungskriterien wird jedoch durch das Auftauchen von unverdientem plötzlichen Reichtum gestört, zu dem es in mehreren augenscheinlichen Fällen während der postkommunistischen Transformation kam.
Schlüsselworte
soziale Stratifikation, soziale Distanz, soziale Interaktion, soziale Klasse, symbolischer Raum, sozialer Raum, Gruppenidentität, soziale Kategorisierung
Zusammenfassung
Die Studie bietet eine Zusammenfassung der Ergebnisse zweier Erhebungen, in denen untersucht wird, wie symbolische Grenzen zur Entstehung von sozialen Hierarchien im Stratifikationsraum beitragen. Die Frage der Klassen- oder Statusidentität wird hier allgemein durch das Prisma der sozialen Interaktion gesehen. Im ersten Kapitel wird der theoretische Ansatz bezüglich der relationalen Auffassung von Ungleichheiten erläutert. Vorgestellt wird die kulturalistische Auffassung der Klassenanalyse, die die Aufmerksamkeit auf die Rolle der kulturellen Praxis bei der Schaffung symbolischer Grenzen lenkt und soziale Klassen gleichfalls als empirische Ansammlungen sieht. Des weiteren wird eine Übersicht der verschiedenen soziologischen Konzepzte der sozialen Distanzen vorgelegt. Behandelt wird auch die interaktive Auffassung, die den Grad der Affinität (objektive Distanzen) und unterschiedliche Muster des Zusammenfindens, z.B. in Freundschaften (objektive Distanzen) [Laumann 1966] beobachtet.
In den folgenden drei Kapiteln werden die subjektiven Distanzen untersucht, d.h. die Interaktionsbereitschaft bezüglich der Berufskategorien, die im Rahmen der repräsentativen Erhebung Sociální distance 2007 (Soziale Distanzen 2007) beobachtet worden waren. Im zweiten Kapitel werden die Methode und beschreibende Statistiken der Skalen subjektiver Distanzen für 22 Berufe aufgeführt. Es erfolgt auch ein Vergleich mit anderen Stratifikationsskalen (ISEI, SIOPS) sowie ein detaillierter Vergleich mit der Bewertung des gesellschaftlichen Nutzens dieser 22 Berufe. Insgesamt ähneln sich beide Konzepte, hinsichtlich des subjektiven Stratifikationsaspektes handelt es sich jedoch um unterschiedliche Maßstäbe. Die Analyse zeigt des weiteren, dass die Distanzen nicht wesentlich gender-bedingt sind, was sowohl das Geschlecht des/der Befragten als auch die Gender-Merkmale der bewerteten Berufe betrifft.
Im dritten Kapitel wird beobachtet, wie durch Mechanismen der Ähnlichkeit (like-me) und des „Aufschauens“ (Prestige) subjektive Distanzen hervorgebracht werden. Es überwiegt der Effekt des Referenz-Prestiges (der ungefähr drei Mal größer ist). Der Einfluss der Ähnlichkeit äußert sich nur sehr schwach unter den Befragten der Eckpole - hochqualifizierter Fachleute und unqualifizierter Arbeiter. Daher kann man weder von einer vorhandenen Voreingenommenheit noch von einer Verurteilung von Berufen anderer Kategorien als der des Befragten sprechen. Soziale Distanzen spiegeln gleichfalls einen Ansatz von Klassenbewusstsein wider. Die Ergebnisse der Klassenbedingtheit von Distanzen (EGP) deuten darauf hin, dass eher von einem Statusdenken als von ausgesprochenem Klassenbewusstsein auszugehen ist. Lediglich ein gering ausgeprägtes Klassenbewusstsein - die Bevorzugung der eigenen Gruppe, die sich im Einklang mit den weiteren Einstellungen zur Stratifikationsordnung befinden - äußert sich in der Gruppe der Arbeiter.
Im vierten Kapitel wird die Existenz subjektiv wahrgenommener Klassen untersucht. Der starke Einfluss des Effekts des Referenz-Prestiges führt dazu, dass in den Vorstellungen das Status-Kontinuum überwiegt, in dem die Grenze zwischen Blue- und White-Collar-Berufen deutlich wird. Die weitere Analyse zeigt, dass im Rahmen dieses Kontinuums sieben Gruppierungen identifiziert werden können, von denen lediglich die jeweils höchste und niedrigste - hoch qualifizierte Fachleute und unqualifizierte Arbeitskräfte - als eindeutige Klassen bezeichnet werden können, während die übrigen eher als Situs-Gruppierungen betrachtet werden sollten. Diese Gruppierungen lassen sich dann weiter in vier Berufscluster zusammenfassen - subjektiv wahrgenommene Klassen: hochqualifizierte Fachleute, weibliche Fachberufe, manuelle und nichtmanuelle Routinearbeiten und unqualifizierte Arbeitskräfte von geringem Prestige.
Im fünften Kapitel werden die durch tatsächliche Assoziationmuster in egozentrischen sozialen Netzwerken (drei beste Freunde des Respondenten) gegebenen objektiven sozialen Distanzen behandelt. Hier ist der Ähnlichkeitsmechanismus (like-me) sehr stark ausgesprägt und ist überdies langfristig präsent: Ungefähr bei der Hälfte der Befragten stammen die besten Freunde aus der gleichen Klasse oder haben den gleichen Bildungsgrad. Darüber hinaus setzt sich ein Viertel der Freundschaftsnetze (Respondent und seine drei Freunde) aus einem sozial homogenen Umfeld zusammen. Die weitere Analyse der Assoziationen zwischen 25 Berufskategorien, unter Verwendung der multidimensionalen Skalierung für Ähnlichkeitsmatritzen, zeigt, dass die Interaktionsmuster primär entlang dem Statuskontinuum angeordnet sind - zusammen mit der ergänzenden Dimension der Gender-Merkmale der Berufe - wobei eine deutliche Grenze zwischen manuellen und nicht-manuellen Berufen besteht.
Der zweite Teil ist den Vorstellungen über die Stratifikation und der Perzeption der Ungleichheiten gewidmet. Im sechsten Kapitel wird die Bedeutung der sozialen Klassen und die Zuschreibung von Eigenschaften zu gesellschaftlichen Schichten behandelt. Menschen mit niedrigem Status begreifen die Klasse insbesondere hinsichtlich ökonomischer Faktoren (Reichtum, Einkommen, Beruf), während Menschen mit höherem Status sie über kulturelle Faktoren erfassen (Bildung, soziale Stellung, Lebensstil). Im Kategoriendenken, das als Zuschreibung bestimmter Eigenschaften (Faulheit, Dummheit, Egoismus, Verantwortungslosigkeit) zu einer Gruppe beobachtet wurde, äußerte sich gegenüber keiner Kategorie Feindseligkeit, was auch für die Eckpole, d.h. höhere Schichten bzw. Sozialhilfeempfänger (Underclass) gilt. Lediglich die Vertreter der höheren Klassen und der niedrigeren bzw. Arbeiterklassen bewerten ihre eigene Kategorie im Vergleich zu den Angehörigen der übrigen Klassen positiver.
Die folgenden Kapitel widmen sich diesem Thema noch detallierter in einer Analyse narrativer Daten einer qualitativen Erhebung zur Perzeption von Ungleichheiten. Eingehende Gespräche mit 30 Männern und Frauen unterschiedlicher Bildungsgrade und sozialer Herkunft wurden in Prag und Liberec geführt. Im siebten Kapitel wird zunächst erläutert, was der Begriff soziale Klasse evoziert und welche Kriterien im Verständnis dieses Begriffs verwendet werden. Angesichts seiner marxistischen Vergangenheit wird der Begriff „Klasse“ von den Befragten (insbesondere jener mit höherem sozialen Status) abgelehnt. Auf der anderen Seite zögern diese nicht, sich oder andere einer sozialen Schicht zuzuordnen, wobei sich die Selbstidentifikation am häufigsten auf die mittleren Schichten (Klassen) bezieht. Dies weist auf die überwiegende Sichtweise der sozialen Stellung im Prisma der sozialen Schichten und auf die Abwesenheit deutlicher Klassengrenzen hin.
Im achten Kapitel werden Laienkonzeptionen und die Ethnotheorie der Stratifikation beobachtet. Das Kapitel befasst sich mit allgemeineren nicht apriori definierten sozialen Kategorien, die nicht unbedingt im Zusammenhang mit der Stellung auf dem Arbeitsmarkt gesehen werden. Es wird untersucht, welche Gruppen/Kategorien in der Gesellschaft als „oben“ und „unten“ angesehen werden. Bei der Zuordnung dieser Kategorien kombinieren die Befragten mehrere Kritierien, wie ethnische Zugehörigkeit, Gender, Reichtum, gesellschaftlichen Nutzen und Moral. Gleichzeitig bauen sie dadurch eine eigene positive Identität als Angehörige der Mittelschicht auf. Für die Bestimmung der Position in einem symbolischen Raum sind zwei Dimensionen von grundlegender Bedeutung: die materielle und Machthierarchie und die symbolische Stellung in der Gesellschaft (Anerkennung). Kommt es zu einer Inkonstistenz dieser Dimensionen, so wird diese Position als nicht legitim angesehen.
Insgesamt gesehen, zeigen die Ergebnisse beider Erhebungen, dass man im tschechischen Umfeld heutzutage nicht von der Existenz einer korporativen Form des Klassenbewusstseins sprechen kann, der sich als abgeschlossene Gruppensolidarität und starke Kohäsion mit einem ausgeprägten Potential für kollektives Handeln äußern würde. Die heutige tschechische Gesellschaft zeichnet sich eher durch das sog. kompetitive Statusbewusstsein aus, in dem die Werte des gesellschaftlichen Wettbewerbs den Angehörigen aller Status- und Klassengruppierungen gemeinsam sind; diese sind sich der Durchlässigkeit des Stratifikationssystems für das individuelle Bemühen bewusst. Die universale Gültigkeit der Leistungskriterien wird jedoch durch das Auftauchen von oftmals unverdientem plötzlichen Reichtum gestört, zu dem es in mehreren augenscheinlichen Fällen während der postkommunistischen Transformation kam.
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