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2008:1 Politische Informiertheit der Bevölkerung: Theorien, Messungen und Rollen bei der Untersuchung politischer Einstellungen |
Lukáš Linek, Pat Lyons |
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Ziel dieser Studie ist die Untersuchung der politischen Informiertheit der tschechischen Bevölkerung sowohl hinsichtlich der Informationsverteilung in der Gesellschaft und der Dimensionalität der Informationsquellen, als auch hinsichtlich des Einflusses von Informationen auf die politische Einstellung und deren Konsistenz. Das Thema ist hinsichtlich der politischen Repräsentation von großer Wichtigkeit. Gemäß einer der einflussreichsten Theorien der politischen Repräsentation – dem Modell verantwortlicher politischer Parteien – werden die Bürger effektiv in Parlament und Regierung vertreten, wenn sie in der Lage sind (1.) ihre politischen Präferenzen zu artikulieren; (2.) die politischen Parteien und deren Programme voneinander zu unterscheiden und (3.) diejenigen Parteien auszuwählen, deren Programm ihren Wünschen am nächsten stehen. Empirische Untersuchungen seit den 50. Jahren des vergangenen Jahrhunderts zeigen, dass die Bürger oft unzureichend informiert sind und dass die politische Repräsentation zugunsten der bildungs- und einkommensstärkeren Bevölkerungsschichten verzerrt sein kann. Die Genauigkeit dieser Beschreibung hängt ab von der Fähigkeit, die Informiertheit der Bevölkerung beweiskräftig und zuverlässig zu bestimmen und die Folgen eines niedrigen Niveaus politischer Kenntnisse für eine demokratische Ordnung zu bewerten.
In dieser Studie nutzen wir Daten aus der Erhebung „ISSP – Rolle der Regierung 2006“, die zeigen, dass die tschechischen Bürger am besten über regionale und Landespolitik informiert sind und am wenigsten über internationale Politik. Überdies ist die Verteilung politischer Kenntnisse systematisch unausgewogen, was zu einer spezifischen Form politischer Ungleichheit führt. Auf der individuellen Ebene wird das Niveau der politischen Kenntnisse von der Motivation, dem Niveau der Informationsquellen und von den kognitiven Fähigkeiten bestimmt. Diese Unterschiede der politischen Kenntnisse bewirken gleichfalls Unterschiede in der Strukturiertheit politischer Einstellungen, wobei das Beziehungsgeflecht zwischen den Einstellungen bei politisch weniger informierten Bürgern schwächer ist. Da die Programme der politischen Parteien strukturierte Systeme politischer Einstellungen sind, gefährden diese Ungleichheiten den Prozess der politischen Repräsentation.
Schlüsselwörter
politische Informiertheit – politische Kenntnisse – politische Einstellungen – Beziehungen zwischen Einstellungen
Zusammenfassung
In dieser Studie wird die politischen Informiertheit der tschechischen Bevölkerung sowohl hinsichtlich der Informationsverteilung in der Gesellschaft und der Dimensionalität der Informationsquellen, als auch hinsichtlich des Einflusses von Informationen auf die politische Einstellung und deren Konsistenz untersucht. Die Bedeutung dieses Themas ergibt sich insbesondere aus dessen Beziehung zur demokratischen politischen Repräsentation. Demokratie wird als Projekt der kollektiven Entscheidungsfindung informierter Bürger konstruiert. Obgleich die meisten Demokratie-Theorien den informierten Bürger lediglich implizit voraussetzen, stellen einige Autoren hinsichtlich dieser Voraussetzungen verschiedene Anforderungskataloge auf, die von einer Gesellschaftsordnung erfüllt werden müssen, um als demokratisch bezeichnet werden zu können. Deshalb fordert beispielsweise Robert A. Dahl von der Demokratie ein fundiertes Verständnis der politischen Probleme von seiten der Bürger sowie die Kontrolle der politischen Agenda. Die politische Informiertheit ist eine unerlässliche Kompetenz zur Erreichung dieser Anforderungen. Ungleichheiten in der Informiertheit führen zu tatsächlichen Ungleichheiten, d.h. dass wenig informierte Bürger nicht in der Lage und schließlich auch nicht bereit sind, sich aktiv am politischen Prozess zu beteiligen.
Gemäß einer der einflussreichsten Theorien der politischen Repräsentation – dem Modell verantwortlicher politischer Parteien – werden die Bürger effektiv in Parlament und Regierung vertreten, wenn sie in der Lage sind (1.) ihre politischen Präferenzen zu artikulieren; (2.) die politischen Parteien und deren Programme voneinander zu unterscheiden und (3.) diejenigen Parteien auszuwählen, deren Programm ihren Wünschen am nächsten stehen. Empirische Untersuchungen seit den 50. Jahren des vergangenen Jahrhunderts zeigen, dass viele Bürger oft unzureichend über Politik und Parteiprogramme informiert sind und zu wichtigen Themen keine eigene Meinung haben. Daraus ergibt sich, dass die politische Repräsentation zugunsten der bildungs- und einkommensstärkeren Bevölkerungsschichten verzerrt sein kann. Die Genauigkeit dieser Beschreibung hängt ab von der Fähigkeit, die Informiertheit der Bevölkerung beweiskräftig und zuverlässig zu bestimmen und die Folgen eines niedrigen Niveaus politischer Kenntnisse für eine demokratische Ordnung zu bewerten.
In dieser Studie nutzen wir Daten aus der Erhebung „ISSP – Rolle der Regierung 2006“, um die politische Informiertheit der tschechischen Bevölkerung und die Rolle dieser Informiertheit bei der Bildung politischer Einstellungen zur Rolle der Regierung im Wirtschaftsleben zu untersuchen. Die politische Informiertheit wurde dabei mithilfe zweier Variablengruppen gemessen: (1.) allgemeine politische Kenntnisse, die anhand von Antworten auf Sachfragen zum politischen Prozess, zu Institutionen und Akteuren ermittelt wurden; (2.) ideologisch-politische Kenntnisse, die auf die Fähigkeit der Befragten abzielten, sich selbst und die wichtigsten politischen Parteien auf einer Links-Rechts-Skala einzuordnen. Es zeigte sich dabei, dass die tschechischen Bürger am besten über regionale und Landespolitik und deren Akteure informiert sind und am wenigsten über internationale Politik. Die Fähigkeit zur Einordnung auf einer Links-Rechts-Skala betrifft nahezu neunzig Prozent der Gesellschaft, während die Fähigkeit, politische Parteien „richtig“ einzuordnen von der Schwierigkeit der Aufgabenstellung abhängt: die Einordnung der ODS rechts von der KSČM ist für die meisten Befragten einfacher als die Einordnung der ODS rechts von der KDU–ČSL.
Die politische Informiertheit ist in der tschechischen Gesellschaft außerdem ungleich verteilt und konzentriert sich auf Bevölkerungsschichten mit größeren Quellen und besseren kognitiven Fähigkeiten, was zu einer spezifischen Form der politischen Ungleichheit führt. Gleichzeitig handelt es sich um politisch engagiertere Bürger. Das mehrdimensionale Modell bestätigte, dass das Niveau der politischen Kenntnisse von der Motivation, dem Niveau der Informationsquellen und von den kognitiven Fähigkeiten bestimmt wird. Die Untersuchung der Dimensionalität der politischen Kenntnisse mithilfe der Mokkenschen Skalenanalyse brachte relativ erwartungsgemäße Ergebnisse: politische Kenntnisse stellen kein eindimensionales Konzept dar, sondern haben mehrere Dimensionen, die nicht leicht zu interpretieren sind. Ihre Zusammensetzung kann überdies durch den methodologischen Artefakt der Beantwortung von Fragen beeinflusst werden. Das Ergebnis der Analyse der Dimensionalität politischer Kenntnisse bestätigten die allgemeine Hypothese, dass die Ergebnisse von der Konzeptualisierung und Messung der politischen Kenntnisse abhängen.
Im zweiten Teil der Studie befassten wir uns mit der Untersuchung der theoretischen Grundlagen der Organisation politischer Einstellungen, die wir insbesondere mithilfe der Messung der Beziehungen zwischen politischen Einstellungen operationalisierten. Die Beziehung zwischen politischen Einstellungen betrifft die Wahrscheinlichkeit, mit der wir auf Grundlage der Kenntnis einer bestimmten Einstellung eine andere Einstellung vorhersagen können. Nach Einführung der Ansätze zur Untersuchung der Organisation politischer Einstellungen und der Beziehung der politischen Informiertheit zu deren Organisationsweise (Converse, Nie, Achen, Zaller) führten wir eine Analyse von zwei Skalen politischer Einstellungen zur Rolle der Regierung im Wirtschaftsleben hinsichtlich der Frage durch, welche Variablen die Beziehungen zwischen politischen Einstellungen beeinflussen und welches die Beziehung dieser Einstellungen zur abstrakten ideologischen Links-Rechts-Skala ist.
Dabei bestätigte sich die grundlegende Feststellung früherer Untersuchungen hinsichtlich der primären Rolle der politischen Informiertheit und der Einbindung in die Politik. Erwartungsgemäß stärkten verschiedene Operationalisierungen der politischen Informiertheit und Indikatoren der politischen Einbindung (Interesse an Politik, Identifizierung mit Parteien, Wahlbeteiligung, Parteimitgliedschaft) linear und positiv die Beziehungen zwischen politischen Einstellungen. Demgegenüber hatten sozio-demografische Variablen, insbesondere verschiedene Indikatoren des Sozialstatus (Bildung, Einkommen, Beruf, subjektive soziale Zugehörigkeit) keinen solchen Einfluss, wobei sich eine gewisse Linearität dieses Einflusses erst bei Knüpfung der Beziehung an die Antwort „weiß nicht“ ergibt.
Die grundlegende Feststellung dieser Analysen besteht darin, dass Unterschiede in der politischen Informiertheit auch zu Unterschieden in der Strukturiertheit politischer Einstellungen führen, wobei das Beziehungsgeflecht zwischen den Einstellungen bei politisch weniger informierten Bürgern schwächer ist. Da die Programme der politischen Parteien strukturierte Systeme politischer Einstellungen sind, gefährden diese Ungleichheiten den Prozess der politischen Repräsentation. Die Wahl einer konkreten Partei ist nämlich keinesfalls gleichbedeutend mit einer Zustimmung zum vorliegenden System politischer Maßnahmen. Und nicht nur das: die Analysen deckten gleichfalls eine große Anzahl von Befragten auf, die nicht in der Lage sind, bestimmte Fragen zu beantworten bzw. die unter Nutzung der mittleren Kategorie antworten. Wenn also ein Teil der Befragten keine politische Einstellung hat und die Einstellungen bei einem noch größeren Teil nicht nach den politischen Ideologien der wichtigsten politischen Parteien organisiert sind, sind jegliche für alle Befragten geltenden Modelle von Wahlentscheidungen fragwürdig, da sich die Rolle der Variablen je nach Grad der politischen Kenntnisse erheblich ändern kann.
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