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2001:04 Träger der Gestaltung einer Grenzgemenschaft auf der tschechisch-deutschen Grenze |
František Zich |
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Diese Publikation fasst die Erkentnisse der soziologischen Untersuchung der Träger (Akteure) zusammen, die eine grenzüberschreitende Gemeinschaft auf der tschechisch-deutschen Grenze bilden. Sie geht von empirischen Sondierungen sowie Wahlunter-suchungen aus, die in den Jahren 1989 bis 2000 im Rahmen der Lösung des Projektes "Träger der Gestaltung einer Grenzgemeinschaft auf der tschechisch-deutschen Grenze" mit Unterstützung der Mittel der Grantagentur CR (Projekt 403/98/1420) gemacht wurden. Die Arbeit bemühte sich um Antworten auf die Fragen: wie häufig und wie intensiv sind die gegenwärtigen grenzüberschreitenden Beziehungen zwischen den Bewohnern des tschechisch-deutschen Grenzgebietes; welchen Charakter haben diese Beziehungen und wohin orientieren sie sich; welche Umstände wirken hier im Interesse deren Entwicklung und welche wirken in dieser Hinsicht umgekehrt-negativ; wer sind die Träger der Gestaltung der Grenzgemeinschaft; kann gegenwärtig überhaupt von einer Grenzgemein-schaft die Rede sein? (Detailerkenntnisse aus den empirischen Untersuchungen und Sondierungen sind im Almanach "Bildung einer grenzüberschreitenden Gemeinschaft an der tschechisch-deutschen Grenze", Soziologisches Institut der Akademie der Wissen-schaft, 2000.) Die folgende Studie enthält eine Übersicht der wesentlichen institutionellen Träger der Grenzbeziehungen und konzentriert sich hauptsächlich auf die soziologische Charakteristik (Motivierung, Wertorientierung, Stellungnahme) der Personen, die auf der tschechischen Seite die grenzüberschreitende Kontakte aufrechterhalten, oder initieren. Sie beachtet gleichfalls manche politische und geschichtliche Zusammenhänge der Gestaltung bürgerlicher Grenzbeziehungen an der tschechisch-deutschen Grenze. Angeführt werden auch kurze Erwägungen über den Begriff "Grenze" sowie "Grenzgemeinschaft" und über Änderungen, zu denen es auf der tschechisch-deutschen Grenze in den neunziger Jahren im Zusammenhang mit den Prozessen der europäischen Integration kommt.
Zusammenfassung
Der Fall des eisernen Vorhangs und die nachfolgenden Änderungen nach dem Jahre 1989 brachten die Chance, dass auch in den Regionen, die Jahrzehnte durch Stacheldraht getrennt waren, die Bildung normaler bürgerlicher Grenzbeziehungen begann. Dies betrifft im Falle der CR hauptsächlich die tschechisch-deutsche und tschechisch-österreichische Grenze, wo seit 1990 zwischen Bürgern und Institutionen neue Kontakte entwickelt und bereits bestehende vertieft werden. In einem wesentlichem Maß ändern sich die Beziehungen zwischen den Menschen auch bei jenem Teil der tschechisch-deutschen Grenze, die vor der Wende durchgänglich war (die Grenze mit der ehemaligen Deutschen demokratischen Republik). In den neunziger Jahren stieg bedeutsam die Zahl der Kontakte zwischen Tschechen und Deutschen. Die Grenzen sind durch verschiedene Über-schreitungen und Eingriffe auf Grund der Zusammenarbeit sowie der Kontakte der Menschen und Institutionen "durchbrochen" und nach und nach werden "normale" bürgerliche Grenzbeziehungen geformt.
Die Ausgangsposition beider Länder und damit auch der Grenzgebiete zur Anknüpfung von Grenzbeziehungen war allerdings und ist auch weiterhin ungleich. Aus diesen Gründen haben die Anknüpfungsprozesse grenzüberschreitender Beziehungen einen asymmetrischen Charakter: Dies wird durch die wesentlich unterschiedliche Wirtschafts-lage beider Länder verursacht und ihre soziokulturelle Spezifikationen. Der asymmetrische Charakter der Bedingungen, der Initiative sowie der Bildung übergrenzlicher sozialer Kopplungen bewirkt eine weitere soziale Ungleichheit zwischen Tschechen und Deutschen sowohl auf der allgemeinen Ebene als auch im Bereich der Unterschiede innerhalb der sozialen Hauptgruppen.
Die Prozesse der Kontakterweiterungen bei der Anknüpfung einer Zusammenarbeit über die Grenze führen in den neunziger Jahren nach und nach zur Bildung einer grenzüberschreitenden Gemeinschaft und zur Normalisierung bürgerlicher grenzüber-schreitender Beziehungen. Die bestehenden Beziehungen sind bisher weder von der quan-titativen noch qualitativen sowie inhaltlichen Seite ausreichend intensiv, vorläufig bestehen keine ausreichend verzweigten und konsistenten sozialen Netze zwischen den Bürgern beider Länder. "Eine normale, natürliche und ausgeglichene grenzüberschreitende Gemein-schaft" basiert auf folgenden Voraussetzungen:
- Politische Beziehungen und der politische Wille bilden die Grundlage einer guten Nach-barschaft, einschließlich des "geschichtlichen Ausgleichs" sowie der status quo - Respektierung. (Die Lage ist aber so, dass auf diesem Gebiet neben bedeutsamen poli-tischen Übereinkommen und wirklicher Zusammenarbeit zwischen dem tschechischen und dem deutschen Staat sowie weiteren Institutionen, beunruhigende Aktivitäten und Forderungen ausgesiedelter Deutscher erscheinen).
- Eine grenzüberschreitende Gemeinschaft setzt eine ausreichend "offene" und durchgäng-liche Staatsgrenze voraus, die problemlose Kontakte von Institutionen und Personen ermöglicht. (Die Grenze mit Deutschland fungiert noch immer wie ein Hinderniss mit kontrollierten Übergängen. Gleichfalls ist eine Frage, ob die heutigen 30 Grenzübergänge ausreichend sind, im Durchschnitt beträgt die Entfernung der Übergänge rund 30 Kilometer).
- Die natürliche Grenzgebietgemeinschaft erfordert eine ausreichende Quantität und Intensität täglicher bürgerlicher Kontakte (Aber als Träger der grenzüberschreitenden Beziehungen können wir auf tschechischer Seite bisher ungefähr 5 % der Bewohner der Grenzgebiete bezeichnen, auf deutscher Seite wird dieser Anteil noch geringer sein).
- Die Grundlage der "normalen" Gemeinschaft sind Beziehungen, die auf der Basis einer spontanen bürgerlichen Zusammenarbeit fungieren. (Vorläufig realisieren sich die meisten intensiveren Beziehungen im Wesentlichen durch Vermittlung von Institutio-nen.) Hierher gehört auch Beständigkeit dieser bürgerlicher Beziehungen (es überwiegen allerdings zufällige Kontakte.)
- Für eine normale grenzüberschreitende Gemeinschaft ist die Gleichheit der Positionen der Bürger beim Einstieg in die Beziehungen sowie bei ihrer Aufrechterhaltung wichtig. (Hier existiert allerdings eine wesentliche, besonders wirtschaftlich, bedingte Asym-metrie, einschließlich einer Asymmetrie der Motivierung zum Anknüpfen von Beziehungen zu Ungunsten der tschechischen Seite).
- Eine ausgeglichene grenzüberschreitende Gemeinschaft sollte sich auch durch eine Symmetrie wenigstens der Hauptinteressen für Zusammenarbeit ersichtlich machen. (Auch hier stellen wir allerdings fest, dass die tschechische Seite im Durchschnitt ein wesentlich stärkeres Interesse für eine Zusammenarbeit zeigt und dies wie auf dem institutionalen Niveau, so auch bei der bürgerlichen Zusammenarbeit.) Auch wenn diese Asymmetrie des Interesses insgesamt mit Rücksicht darauf, was es den beteiligten Partnern bringen kann, verständlich ist, ist es eine Tatsache, dass sie im wesentlichen Maß die Entwicklung der Bildung einer grenzüberschreitenden Gemeinschaft bremst.
Im Einklang mit dem Inhalt und den Vorhaben persönlicher sowie auch institutioneller grenzüberschreitender Kontakte und Aktivitäten bilden sich erst im tschechischen und auch deutschen Grenzgebiet die Keime natürlicher sozialer "Gravitationszentren". Auf der tschechischen Seite sind dies vor allem jene Orte, wohin die Deutschen fahren, um die von der tschechischen Seite angebotenen Dienste zu nutzen (Erholungs- und Bäderzentren, Einkaufszentren). Auf dem Niveau spontaner bürgerlicher Kontakte zeigen sich in dieser Hinsicht weniger deutlich Kulturaktivitäten sowie -institutionen. Eine gewisse Organisa-tionsbasis dieser Zentren sind die Sitze der Euroregionen und deren Aktivitäten. Man muss feststellen, dass die "Gravitationszentren", in denen sich spontan und wiederholt Tschechen und Deutsche als Bürger treffen würden, vorläufig weder auf der tschechischen, noch auf der deutschen Seite ausreichend gestaltet sind. Ihre Bildung ist nicht nur eine Angelegenheit der Organisationsarbeit, sondern sollten sie eine dauerhafte Bedeutung haben, müssen sie ein Produkt und demnach sichtbar langfristiger Prozesse und des Treffens natürlicher von Menschen auf Grund gemeinsamer Interessen sein.
Die untersuchten Träger der tschechisch-deutschen grenzüberschreitenden Kopplun-gen werden im Vergleich mit der gesamten Bevölkerung der CR durch eine höhere soziale Aktivität, Offenheit sowie Toleranz auf dem Bereich der Beurteilung nationaler Bezieh-ungen gekennzeichnet. Auf dem Stellungsniveau geben sie im hohen Maße Entgegenkommen auf dem Gebiet der Zusammenarbeit mit Deutschland, aber auch mit weiteren Ländern und eine allgemein positive Beziehung zum Prozess der europäischen Integration kund.
Schlüsselworte
Grenze, grenzüberschreitende Kontakte und Beziehungen, grenzüberschreitende Gemein-schaft, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Konkurrenz der Interessen, Bürgerprinzip, Träger der grenzüberschreitenden Beziehungen, Akteur der grenzüberschreitenden Aktivi-täten, institutioneller Träger der grenzüberschreitenden Beziehungen, Euroregion, politi-sche und geschichtliche Zusammenhänge, soziale Distanz, Asymmetrie der Beziehungen.
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