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2009:2 Die Religiosität in Tschechien am Anfang des 3. Jahrtausends. Ergebnisse des Internationalen Sozialforschungsprogramms ISSP 2008 – Religion |
Dana Hamplová, Blanka Řeháková |
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In der Studie werden Daten aus einer repräsentativen Erhebung zur Religiosität in Tschechien verarbeitet, die im Rahmen des Internationalen Sozialforschungsprogramms ISSP im Jahr 2008 durchgeführt wurde. Es handelt sich um eine empirisch und quantitativ ausgerichtete Arbeit, deren Hauptziel es ist, zu beschreiben, wie diese repräsentative Erhebung die Religiosität in Tschechien erfasst. Im einleitenden Teil befassen wir uns mit der Stellung der Religion in den modernen Gesellschaften und unterscheiden dabei zwischen traditionellen und alternativen (enttraditionalisierten) Religionen. Danach widmen wir uns der traditionellen institutionalisierten Religion und analysieren, wer in Tschechien einer Kirche angehört und in die Kirche geht und wie die Menschen die traditionellen Religionssysteme bewerten. Wir zeigen dabei auf, dass die rückläufige Mitgliederzahl typisch für die traditionellen mitgliederstarken Denominationen ist, während kleinere Kirchengruppierungen ein relativ dynamisches Wachstum verzeichnen. In den weiteren Teilen der Studie wenden wir unsere Aufmerksamkeit weg vom religiösen Verhalten und hin zu dem, an was die tschechische Bevölkerung glaubt. Wir dokumentieren dabei, dass in Tschechien der Glaube an das Übernatürliche stark verbreitet ist, dass aber die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung diesen Glauben nicht als religiösen Glauben wahrnimmt.
Schlüsselwörter
Religion, Glauben, alternative Religiosität, traditionelle Religiosität, Säkularisierung
Zusammenfassung
Grundlage der vorliegenden Studie ist eine repräsentative Erhebung zur Religiosität in Tschechien, die im Jahr 2008 im Rahmen des Internationalen Sozialforschungsprogramms ISSP (International Social Survey Program) durchgeführt wurde. Diese Daten wurden unsererseits um weitere Untersuchungen und Ergebnisse von Volkszählungen ergänzt. Unser Analyseansatz der Phänomene der Religiosität basiert auf der Unterscheidung zwischen der sog. traditionellen institutionalisierten und der sog. alternativen Religiosität. Mit diesen beiden Konzepten arbeiten wir im Weberschen Sinne wie mit idealen Typen, da es uns diese Unterscheidung ermöglicht, die komplizierte Realität der religiösen Vorstellungen, Einstellungen und Verhaltensweisen sinnvoll zu gliedern. Die Schlüsselcharakteristik der traditionellen institutionalisierten Religion ist deren Organisiertheit und Bindung an kirchliche Institutionen, während die alternative Religiosität/Spiritualität auf religiöse Vorstellungen verweist, die nicht zur offiziellen Lehrmeinung der traditionellen historischen Kirchen gehören. Ein wesentlicher Grundzug dieser alternativen Religionen ist dabei die Bemühung, transzendentale Kräfte zu beherrschen (bzw. diese zu nutzen oder mit ihnen im Einklang zu stehen), ebenso wie Egozentrik, Synkretismus und meist minimale moralische Anforderungen. In diesem Kapitel zeigen wir gleichfalls, wie die heutigen Sozialwissenschaften das nach wie vor bestehende und oftmals stark wachsende Interesse an der Religion erklären.
Unsere empirischen Analysen beginnen mit der institutionalisierten Religiosität. Auf Grundlage von Volkszählungsdaten zeigen wir, dass der Bevölkerungsanteil ohne religiöses Bekenntnis im Zeitraum 1950 bis 2001 stark anstieg, von lediglich 6 % auf beinahe 60 % der Bevölkerung. Der Anteil der Befragten ohne Bekenntnis war zwar auch bei der Volkszählung von 1991 mit lediglich 40% relativ gering, unseres Erachtens handelte es sich dabei jedoch um eine übermäßig starke Deklarierung einer Religionszugehörigkeit, die der damaligen politischen Situation geschuldet war. Der zwischen 1991 und 2001 verzeichnete Rückgang des Anteils der Befragten mit religiösem Bekenntnis betrifft nur bestimmte Kirchen, während sich andere Denominationen in diesem Zeitraum eines relativ steilen Wachstums erfreuten. Rückläufige Mitgliederzahlen sind somit insbesondere typisch für große Kirchen mit formaler Mitgliedschaft (die römisch-katholische Kirche, die Evangelische Kirche der böhmischen Brüder und die Tschechoslowakische hussitische Kirche). Den relativ größten Mitgliederrückgang verzeichnete die Tschechoslowakische hussitische Kirche und die Evangelische Kirche der böhmischen Brüder, die im Laufe des o.g. Jahrzehnts beinahe die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Die römisch-katholische Kirche verzeichnete – trotz der hohen Verluste in absoluten Zahlen – ein relativ geringeren Mitgliederrückgang als die anderen Denominationen und verlor „nur“ ein Drittel der gemeldeten Mitglieder Im gleichen Zeitraum waren evangelikale Kirchen sowie die orthodoxe Kirche dagegen relativ erfolgreich. Die Volkszählungsdaten deuten gleichfalls darauf hin, dass mehr Frauen als Männer ein religiöses Bekenntnis haben (im Jahr 2001 gab es in Tschechien fast eine halbe Million mehr „gläubige“ Frauen als Männer) sowie mehr ältere als jüngere Menschen (unter den Befragten über 60 Jahren gaben über 60% ein religiöses Bekenntnis an, während in den Alterskategorien bis 40 Jahre nur ein Fünftel der befragten Männer und Frauen ein religiöses Bekenntnis angab). Anhand der Daten aus der Volkszählung von 2001 dokumentieren wir gleichfalls, dass wir keine klare Beziehung zwischen religiösem Bekenntnis und Bildung finden können.
In dem der institutionalisierten Religiosität gewidmetem Abschnitt interessierten wir uns (gestützt auf Daten aus empirischen soziologischen Erhebungen) auch für die Besucherzahlen von Gottesdiensten und die Sympathien gegenüber Kirchen. Die größten Sympathien äußerten die Befragten gegenüber dem Christentum, die geringsten gegenüber den Zeugen Jehovas. Auf Grundlage der Zeitreihe der ISSP-Untersuchungen aus den Jahren 1993 bis 2008 zeigen wir des weiteren, dass es hinsichtlich der Besucherzahlen von Gottesdiensten seit Anfang der 90. Jahre keine grundlegenden Veränderungen gegeben hat, was in krassem Widerspruch zur selbstdeklarierten religiösen Bekenntnis in der Volkszählung steht. Im gesamten Beobachtungszeitraum besuchten nämlich ungefähr 10 % der Befragten mindestens ein Mal monatlich einen Gottesdienst, während sich der Anteil jener, die nie einen Gottesdienst besuchten, zwischen 50 und 60 % bewegte. Auch hier gilt, dass Frauen und Ältere öfter einen Gottesdienst besuchen als Männer und Jüngere.
Im weiteren Teil der Studie wechseln wir die Perspektive und wenden uns der Frage zu, an was die tschechische Bevölkerung glaubt. Nur ungefähr jeder zehnte Befragte der ISSP-Erhebung 2008 glaubte, dass Gott bestimmt existiert, während weitere 10 % Zweifel äußerten. Diese Untersuchung deutet auch darauf hin, dass der Glauben an Gott relativ stabil ist und dass nur ein kleiner Teil der Befragten den Glauben im Laufe des Lebens ändert. Dabei war der Verlust des Glaubens häufiger als eine Konvertierung. Wenn wir nämlich auch die religiösen Vorstellungen in Betracht ziehen, die nicht aus der kirchlichen und christlichen Tradition hervorgehen, so stellen wir fest, dass der Glaube an das Übernatürliche und an religiöse Phänomene in Tschechien sehr stark verbreitet ist. Bei der ISSP-Erhebung 2008 stimmte etwa die Hälfte der Befragten den Aussagen zu, dass einige Seher die Zukunft voraussagen können, dass Amulette manchmal tatsächlich Glück bringen oder dass einige Heiler ihr Fähigkeiten von Gott haben. Auch die Vorstellung, dass das Sternzeichen oder das Horoskop den Lebenslauf eines Menschen beeinflussen kann, war sehr populär. In der ISSP-Erhebung 2008 wurden – im Unterschied zu älteren Erhebungen – auch die religiösen Konzepte östlicher Religionen untersucht, deren Popularität jedoch nicht bestätigt werden konnte. Am Ende der Studie befindet sich ein Überblick der Ergebnisse der ISSP-Untersuchung.
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