Die informierte Welt
-ich weiß, daß ich nicht weiß, was ich weiß

Die Informationen haben heute einen größeren Wert als sie wirklich wert sind. Der
Kampf um sie und das Wechselgeschäft mit Informationen florieren mit noch nie
dagewesener Regsamkeit. Für eine Meldung darüber, was heute geschehen ist, kann
man in einem Wechselgeschäft einige andere, nicht weniger wichtige darüber
bekommen, was mit Sicherheit nicht geschehen wird. So schafft man einen
eingeweihten Kreis derer, die wissen. Die waswissen?
Durch das ständige Wiederholen und Betonen der Behauptung über die
Notwendigkeit der Information wird die Notwendigkeit der und vor allem das Recht
auf die Information zu einem der unerschütterlichsten Dogmen. Dennoch wird man
den Eindruck nicht los, daß eigentlich niemand etwas erfährt. Ja, es kann sogar den
Anschein haben, daß die wirklichen Kenntnisse, die Ansichten und das Wissen
darüber, wie die Welt ist, verschwinden. Wohin ist unbekannt.
Wenn Sie sich an jenem Geschäft mit Nachrichten beteiligen möchten, ist es
notwendig an ihnen auf irgend eine Weise zu partizipieren: die Nachrichten
besitzen, herstellen oder abstauben, umschreiben, archivieren, kaufen, verkaufen
und austauschen, sie auf den Ort beziehen, an dem Sie sich gerade aufhalten bzw.
sie mit einer anderen Information zu verknüpfen oder sich anders an ihnen
beteiligen.
Dennoch ist nicht ganz offensichtlich, was in einer solchen Welt der Informationen
eine Information ist und was nicht, ob und worüber die Information etwas aussagt,
falls sie nicht nur eine In-formation ist, falls die In-formation nicht nur Ver-formung,
Manipulation bedeutet. Oft scheint es, daß dies wirklich der Fall ist, daß das einzige
Geschehnis, das mit der Meldung identifizierbar ist, die Manipulation des
Empfängers der Nachricht darstellt. Wessen Hände formen sie? Eh?
es ist nicht ganz klar, ob eine in Umlauf gesetzte Meldung sich um dasselbe handelt
wie die empfangene Meldung. Handelt sie sich um überhaupt um etwas? Oder um
überhaupt nichts? Wie ist in diesem Fall die Wirkung oder der Inhalt, die Bedeutung
oder der Sinn der Nachricht, wer ist ihr wirklicher Ursprung und für wen ist die
Information bestimmt? Was oder wen formt die Information? Worauf bezieht sie
sich? Verfaßt sie nicht einen neuen Gegenstand, eher als daß sie etwas über einen
existierenden aussagt? Ist sie nicht mehr eine Verhüllung als eine Enthüllung? Was?
Durch das Stellen dieser oder ähnlicher Fragenireduziert sich jegwelches Wissen
auf ein uniformes, überführbares und jedem auf die gleiche Art verständliches
Wissen, und damit also auf Tatsachen die völlig unabhängig sind. Wir beginnen die
Welt als eine Welt zu betrachten, die voll informiert ist. Das Wissen ist hier jedem
auf die gleiche Art zugänglich: wissen heißt etwas kennen, was die anderen nicht
wissen. Wir wissen alles, falls die anderen nichts wissen.

Im Bann des Schattens

Wenn wir über den eigenen Schatten springen wollen, erscheint es auf den ersten
Blick am günstigsten, sich tiefer mit „dem richtigen Wesen“ des Schattens zu
beschäftigen. Was ist ein Schatten? Und was ist kein Schatten? Wann ist ein Schatten
ein Schatten? Wessen Schatten ist der Schatten? Und wessen ist der Schatten kein
Schatten? Wie ist der Schatten eines Schattens? Was kann ein Schatten? Welche
Vorteile bringt ein Schatten, und wozu kann ihn wohl so benutzen? Ist es ethisch
einen Schatten zu mißbrauchen? In was kann man einen Schatten zerlegen, und aus
was setzt er sich wohl zusammen? Welcher Art sind Schatten und wie verhält sich
ein Schatten? Ist überhaupt etwas außerhalb von Schatten?
Schrittweise tauchen wir so tiefer und tiefer in die Welt der Schatten ein, in eine
beschränkte Welt von Beschreibungen oder Bilder. Der Urheber des Schattens
beginnt uns nur wie ein Bild von ihm zu erscheinen, ein Schatten des Schattens, er

ist nur dann klar, wenn er mit dem Schatten relativiert wird, wenn er auf den
Schatten reduziert wird. Er lebt in der Funktion des Schattens. Der Urheber des
Schattens tritt nur dann deutlich auf, wenn er mit dem Schatten voll charakterisiert,
ersetzt werden muß. Der, welcher den Schatten wirft, wird durch ihn selber
charakterisiert und somit ersetzt, er selbst wird zum Schatten. In diesem Moment ist
nichts außer Schatten, war nichts und wird nichts sein.
Mit der Vereinnahmung den Schatten kennenzulernen ist unser wahres Ziel, über
den eigenen Schatten zu springen, im Unübersichtlichen zerronnen. Die
ursprüngliche Welt, diejenige die den Schatten warf, ist von uns verschwunden,
spricht schon nicht mehr, es bleiben nur ihre Beschreibungen, Schatten. Aus dem
Sprechen der Schatten wird eine Sprache, aus der Sprache über „Wirklichkeiten“,
aus den Schatten, wird eine einzige, „wirkliche“ Wirklichkeit. Wir sind in die Welt
der Schatten gelangt. Alles kann als Schatten angesehen werden, also auch als
Träger von allem. Die Schatten verlieren die Eigenschaften von Schatten: nämlich
Schatten von etwas zu sein. Die Frage, ob Schatten und ihre Sprache die
Wirklichkeit gut beschreiben, ändert sich in eine Frage der uniformen
Übersetzbarkeit des Schattens - verändert sich in den Schatten. Alles vom Anfang bis
zum Ende wird zu Schattenspiegeln. Die Wirklichkeit ist nicht greifbar, ist nicht
aktuell, ist nicht. Sie wird ersetzt durch Schatten und wird von ihnen beschränkt.
Was sind Schatten? Wie werden sie benutzt? Nach dem „richtigen Wesen“ des
Schattens zu fragen, hat aufgehört einen Sinn zu haben.
Wir beginnen uns wie Schatten zu verhalten. Was außerhalb der Schatten ist, wird
nur noch im Sprechen ausgedrückt, in der Sprache der Schatten; alles außerhalb der
Schatten kann man nur mit der eigenen Beziehung zu den Schatten charakterisieren.
„Wissenschaftlich“ sein heißt, sich an die Schatten halten, ihre Sprache zu sprechen.
Alles, was auf irgendwelche Weise davon außerhalb hinweist, wir zur „Kunst“, zur
„Magie“, Kunst ohne Schatten, Kunst für Kunst. Die Einheit des Schattens und
seiner Herrn steht außerhalb der Schatten, und wenn wir in der Welt der Schatten
sind, dann existiert sie nur noch außerhalb, man kann auf nicht auf sie verweisen.
Wir werden so selbst zu Schatten - Schatten in der Sprache der Schatten. Sind
unsere Schatten auf uns stolz, oder bilden wir uns etwas auf sie ein? Sind sie doch so
oft sehr luxuriös aufgeputzt.

„Einmal saß abends ein Fremder auf seinem Balkon, und hinter ihm brannte
im Zimmer Licht. Es war also sehr natürlich, daß sich sein Schatten auf der
Wand des gegenüberliegenden Hauses abzeichnete. Ja, der saß auf dem
gegenüberliegenden Balkon zwischen den Blumen, und wann immer sich der
Fremde bewegte, bewegte sich gleichfalls sein Schatten, den das ist die
Gewohnheit eines Schattens.

,Es scheint mir, daß mein Schatten das einzige Lebendige auf dem
gegenüberliegenden Stock ist,’ sprach der Lehrling. ,Schau, wie er dort schön
zwischen den Blumen sitzt, und die Türe ist nur leicht angelehnt. Da sollte
mein Schatten so schlau sein und hineinlegen, sich dort umsehen, erneut
zurückkommen und mir erzählen, was er dort gesehen hat. - Ja, ja, du
könntest auch für etwas nützlich sein,’ sagte er zu seinem Schatten im Spaß;
,sei doch so gut und geh’ dort rein; was sträubst du dich?’ Danach nickte er
seinem Schatten zu, was dieser wiederholte. ,Geh’ also, geh’, aber bleib mir
dort nicht für immer!’

Darauf stand der Fremde auf, und der Schatten auf dem gegenüberliegenden
Balkon stand gleichfalls auf; ja, wenn jemand gut aufgepaßt hätte, hätte er
bemerken müssen, daß der Schatten durch die halb geöffnete Balkontüre des
gegenüberliegenden Hauses eintrat, und zwar in dem Moment, in dem der
Fremde in sein Zimmer ging und hinter sich den langen Vorhang
herunterließ.

Am nächsten Tag ging der Fremde in die Stadt, um einen Kaffee zu trinken
und die Zeitung zu lesen. ,Was ist denn das?’ fragte er, als er in die Sonne
trat: ,ich habe keinen Schatten! Der ist gestern tatsächlich weggegangen und
nicht mehr zurückgekehrt; das ist doch wirklich ärgerlich!’“

ii

Hätte die Welt keine Substanz, so würde, ob ein Schatten Sinn hat, davon abhängen,
ob ein anderer Schatten echt ist. Es wäre dann unmöglich, irgendein Schattenbild
der Welt (wahr oder falsch) zu entwerfen.i ii
Mit anderen Worten. Falls ein Schatten die Fähigkeit haben soll die „Wirklichkeit“ zu
spiegeln, also eben nur der Schatten von etwas zu sein, dann muß so etwas wie eine
„Sperre“, ein „fester Punkt“ existieren, mit dem man einen Schatten an dem
festmachen kann, von dem der Schatten ein Schatten ist, dem was den Schatten
wirft. Dieser feste Punkt kann jedoch nicht völlig in der Welt der Schatten
ausgedrückt werden. Wir müssen den Schatten etwas hinzugeben.
Bleibt uns nun noch genügend Kraft, damit wir aus der Welt der Schatten vorher
heraustreten können, bevor jemand das Licht ausmacht?

Über die Konsequenz der Wissenschaft

„... In jenem Reich erreichte die kartographische Kunst solche Perfektion, daß die
Karte einer einzigen Provinz so groß war wie eine Stadt und die Karte des
Reiches wie eine ganze Provinz. Mit der Zeit wurden diese riesigen Karten
unbefriedigend, und deshalb schuf das Kollegium der Kartographen eine Karte
des Reiches, die die Größe des Reiches hatte und genau seinen Ausmaßen
entsprach. Die nächste Generation, die keinen so großen Wert auf das Studium
der Kartographie legte, kam zu dem Schluß, daß diese räumliche Karte zu nichts
nutze sei und setzte sie völlig unbarmherzig der Witterung der Sonne und der
Kälte aus. In den Wüsten im Westen blieben einige Bruchstücke der Karte
erhalten, bewohnt von Tieren und Bettlern; im ganzen Land blieb keine einzige
Erinnerung an die kartographische Wissenschaft erhalten.“iv

Die Wirklichkeit - eine nebulöse Erscheinung

Ist die Wirklichkeit dem ähnlich, wie wir sie beschreiben, kann sie uns vorschlagen,
in welcher Sprache wir sprechen sollen? Führen wir zwei Beispiele an.
Ein gewisser Wenzel, kann auch sein, daß er Pavel hieß, eine sehr ausdrucksvolle
Persönlichkeit, wurde oft zum Spaß imitiert. Einmal gab es darüber Streit, wer denn
den Wenzel am besten imitieren könne. Es war nötig, sofort, ohne Aufschub zu
entscheiden. Deswegen wurde gleich ein großer Wettbewerb mit wertvollen
Preisen um die beste Imitation veranstaltet. Zum Wettbewerb meldete sich dank der
Unachtsamkeit der Veranstalter auch Wenzel selbst an. Vielleicht wußte er nicht um
was es geht, wollte so wie immer dabei sein, daran teilnehmen, vielleicht ahnte er
etwas. Wie groß war jedoch Wenzels Überraschung. Nicht nur daß er den
Wettbewerb nicht gewann, nein, er wurde nicht einmal Zweitplatzierter, Dritter
oder gar Vierter. Er endete bei den am wenigsten erfolgreichen Imitatoren.
Vergeblich wären wohl Wenzels oder vielleicht Pavels Einwände gewesen, daß dies
nicht seine wahre Gestalt sei. Wollte er weiterhin Wenzel bleiben, konnte er sich
weiterhin nicht wie Wenzel benehmen, sondern mußte sein Benehmen der Welt
der Imitationen unterwerfen, mußte sich wie ein Clown benehmen. Und dies blieb
ihm, zumindest für einige Zeit. Wenzels Ersatz war ein besserer Wenzel, war
wirklicher. War wirklicher in der Sprache von Wenzels Imitation (aus Gummi oder
Holz). Welcher der Wenzel war jedoch wirklich, der Wenzel vor dem Wettbewerb
oder nach dem Wettbewerb? Alle, keiner oder nur einer?
Ist die Wirklichkeit dem ähnlich, wie wir sie beschreiben? Kann sie uns
vorschlagen, in welcher Sprache wir sprechen sollen? Widersetzt sich die Wahrheit
nicht oft ihrer Art der Beschreibung? Passiert es nicht mit eiserner Regelmäßigkeit

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