Welt der Worte, der abstrakten Begriffe, allgemeiner Vorstellungen, die für ihn
immer mehr die unmittelbare Erfahrung, das direkte Erleben der Wirklichkeit
ersetzen."i
das Recht und die Notwendigkeit informiert zu werden, man spricht einmal über
den Mangel und dann wieder über den Überfluß an Informationen, über ihre
Geheimhaltung und nicht zuletzt über ihre Manipulation. Das, womit wir umgeben
sind, was für uns alltäglich ist, ruft meistens nicht unsere Neugier hervor, und so
machen wir uns nur wenig bewußt, was eine Information bedeutet, daß eine
Information von ihrer Bedeutung her und auch faktisch mit der Manipulation
verbunden ist. Mit je mehr Informationen wir überflutet werden, desto weniger
leben wir in einer wirklichen Welt, desto weniger wissen wir von ihr - auf Kosten
einer fiktiven Welt, die mit Hilfe von Worten und Bildern - von Informationen -
konstruiert wird. Eine Information ist bereits keine Nachricht mehr, sie verliert
schrittweise ihr Charakteristikum, über den „wahren“ Stand der ganzen und
wirklichen Welt Aussagen zu treffen und wird immer mehr zu einer Nachricht über
eine fiktive, eine geteilte Welt, darüber wer (was) weiß und (was) wer nicht weiß,
anstatt darüber was „so und so“ ist. Darüber Bescheid wissen, was wer weiß; nicht
wissen, was diejenigen wissen, die nichts darüber wissen.
Die Informationen ersetzen so immer mehr die direkte Erfahrung, das direkte
Erleben der Wirklichkeit. Zum Wirklichen wird nur das, worüber wir informiert
werden, nur dieses sind wir bereit als vertrauenswürdig zu empfangen, nur dieses
nehmen wir zur Kenntnis oder lehnen ab, es zur Kenntnis zu nehmen. Wir
beschäftigen uns nicht mehr mit der Wirklichkeit, sondern damit, was uns mitgeteilt
wird - wir beobachten nicht das, was passiert, sondern wir verfolgen Informationen.
Die Welt ist beschränkt auf eine bildhaft gemachte, auf eine partielle, also auf eine
künstliche Wirklichkeit. Sie ist gegenüber unseren Wünschen weniger
widerstandsfähig. Sie hetzt nicht zur wirklichen Gewalt auf, aber die Gewalt auf den
Seiten der Zeitungen, eine Nachricht über Gewalt, eine gute oder schlechte
Information verändert unser Leben mehr als ein Satz heißer Ohren oder ein guter
Fang, mehr als wirkliche Zufälle. Die Welt suchen wir uns danach aus, welche
Tageszeitung am Kiosk unsere Aufmerksamkeit weckt oder wie teuer unsere
Antenne war und wir sie so klar und so wirklichkeitsgetreu sehen, wieviel unser
Fernseher kostet. Wir beginnen in einer Welt der Worte und Bilder zu leben. Die
Sprache ersetzt vollständig die Wirklichkeit. Es ist schon nicht mehr notwendig, die
ursprüngliche Wirklichkeit zu manipulieren. Der Grund für Repressionen in der
wirklichen Welt ist verschwunden. Wir haben die Möglichkeit der Auswahl aus
jeder nur vorstellbaren Welt, bis auf die wirkliche. Auch diese können wir jedoch
mit willkürlicher Glaubhaftigkeit für eine bestimmte Erscheinung durch eine Fiktion
ersetzen.
Die so organisiert vorgestellte Realität ist manipulierbar und wird manipuliert. Die
Manipulierbarkeit ist ihr Hauptmerkmal.
Man darf sich dann nicht wundern, daß das so oft erwähnte „Leben in der
Wahrheit“ auf eine Übereinstimmung oder eine Konfrontation mit einem
Fernsehsender, mit einer Rede des Premierministers (gegebenenfalls eines anderen
Politikers) oder mit der einen oder anderen Tageszeitung beschränkt ist, daß
Wahrheit durch eine günstige Manipulation mit Worten geschaffen wird. Worten
einem bestimmten Maße befehlen. Um welchen Preis? Die Vorstellung der
Wirklichkeit wird zur Ideologie, zu einer Ideologie der Wirklichkeit, der
Gerechtigkeit, der Wissenschaft und Kunst.
Die Sprache oder das Sprechen ist weiterhin nicht mehr ein Ausdruck des Denkens,
ist kein Gespräch über die Wirklichkeit, sondern eine Flucht vor dem Denken und
der Wirklichkeit. Sprache, die sich auf Sprache stützt, ist ohne eine uniforme
Referenz nicht weiter erklärbar. So ist es nicht möglich, einander zu verstehen,
nicht möglich zu sprechen, und letztendlich ist es nicht einmal wichtig zu wissen,
was wir sagen. Derjenige, der nicht weiß wovon er spricht, weiß meistens auch
nicht, was er sagt. Auch in diesem Fall weiß er nicht selten, warum er spricht: um
von etwas zu überzeugen, was reine Fiktion ist. Es geht ihm um Betrug.
von Petr Fidelius, das schon früher im Samizdat publiziert worden war. In dem
profunden Nachwort von Václav Belohradský steht, daß „das Buch, welches wir
eben zu Ende gelesen haben, uns von der Logik der Sprache gelehrt hat, dessen
einziges Ziel es ist, die vollkommene Unabhängigkeit von der Wirklichkeit zu
erlangen“. Hier muß hinzugefügt werden, daß das Buch vor allem ein
exemplarisches Beispiel der Semiologie der Macht ist. Die Logik der Sprache, die die
Wirklichkeit auf eine repressive Weise manipuliert, ist nur eine Folge dieser
semiologischen Ergründungen, selbst begreift sie das wahre Gesicht dieser
Manipulation nicht, sie kann es auch gar nicht begreifen. Bei der Ergründung dieser
Semiologie der Macht ist es allerdings günstig die Logik zu benutzen.
An dieser Stelle erlauben wir uns ein kleines Zwischenspiel.
Die Semiologie, die Lehre vom Zeichen (von der Kunst ein Zeichen zu lesen), kann
auch als Lehre von den Zeichen übersetzt werden. Die Lehre von Zeichen, oder
sogar von einem Zeichensystem, oder sogar von Zeichensystemen, ist jedoch nicht
dasselbe wie die Lehre vom Zeichen - genauso wie die Lehre von der Seele nicht
dasselbe ist wie die Lehre von den Seelen, von Seelensystemen ganz zu schweigen,
genauso wie die Biologie nicht die Lehre von den Leben oder Lebenssystemen ist,
sondern die Lehre vom Leben usw. Die Tatsache, daß unsere Mittel beschränkt sind
(Sprache und Sprechen) führt allerdings dazu, daß wir oft Analogien verwenden -
also auch Verbindungen - zwischen den Instanzen der Zeichen, der Seelen usw. Die
Semiologie kann jedoch auf keinen Fall Modelle oder Zeichensysteme behandeln, da
sich in ihnen die Eigenschaften der Zeichen verlieren, also ihr Charakteristikum, das
im Hinblick auf das Zeichen lokal ist (die durch Induktion erweiterte lokale
Eigenschaft der Analogie wird zur globalen Eigenschaft, zum Modell, zum System,
verliert die lokale Fähigkeit sich auszudrücken). Und man kann sie auf keine Weise
rekonstruieren, da sie sich in den Eigenschaften des oder der Systeme „aufgelöst“
hat. Der Lehre vom System bzw. vonSystemen
sind verschiedene Algebra, formale
Grammatiken usw. am nächsten, bzw. Modelltheorien und somit auch die Logik; sie
alle verwenden jedoch statt Zeichen Symbole. Aber das, wovon unsere
„Semiologen“ so oft sprechen, ist größtenteils Symptomatologie, Symptomatik,
Lehre von Erscheinungen, von Merkmalen. Wer blind ist muß wenigstens viel
reden. Dieser Irrtum ist ein häufiges Zeichen der aktuellen Wissenschaft. Man
appliziert einen formalen Apparat, auch wenn es dafür weder Gründe noch
Voraussetzungen gibt. Vertrauensvoll spricht man von der „Semiologie“, von
Zeichensystemen, auch wenn fast nichts über die Semiologie, über das Zeichen
bekannt ist. Unter diesen „Semiologen“ sind unter anderem und neben anderen
auch die Zitierten Helden aus dem Buch von Fidelius. Besser kann man sie, die
einen wie die anderen, nicht charakterisieren.
Wenn wir angenommen haben, daß Fidelius’ Buch größtenteils eine semiologische
Studie ist, dann müssen wir hinzufügen, um wessen Zeichen es sich handelt und
von welchen Zeichen die Sprache ist.
siebziger Jahre in diesem Land (diese sind offensichtlich aber auch Zeichen der
vorangegangenen und der achtziger Jahre). Wir erwähnen einige Symbole dieser
Zeichen: ,Die momentane, offizielle Propaganda’, ,das Volk’ (das Volk und seine
Aufgabe, die Arbeiterklasse, der gesunde Kern des Volkes, die Kommunistische
Partei, die Partei und das Volk), ,die Demokratie’ (die Volksdemokratie, ihre
Funktion und Aufgabe, die sozialistische Demokratie, die Geschichte, das Volk), ,die
Partei’ (die Partei - der Anfang und das Ende von allem, die Partei und der Staat, die
Führungsaufgabe, ihre Legitimierung, Wissenschaftlichkeit, Fortschrittlichkeit,
historische Aufgabe, Objektivität und Natürlichkeit).i i i
Sollte ein Zeichen Zeichen bleiben, dann muß man es „wörtlich“ lesen, es in
seiner
Gesamtheit sehen, es von jeder, also auch von begründeter, Voreingenommenheit
befreien, es ernst nehmen. Man muß ergründen, von wem das Zeichen eine Spur
ist, ohne die Tatsache, daß wir von vornherein wissen, wessen oder von was es ein
Zeichen ist. Es ist dies die Voraussetzung eines genialen Lesers. Zumindest in diesem
Buch erfüllt sie Fiedlius.
bloßen „Wort“, einem Symbol, das durch irgendeine andere Bezeichnung, ein
Symbol oder ein Wort ersetzt werden kann. Die Ideologie ist der Ersatz für die
Mythologie. Was passiert, wenn wir die Ideologie entfernen, zeigt uns beispielhaft
Vladimír Macura in seiner Sammlung von Essays Das glückliche
Zeitalteriv .
„...das
Buch versucht, die Mechanismen der konkreten Kultur zu ergründen, die Gesetze
ihrer Emblematik aufzudecken, ihre Mythologie zu Entmythologisieren,“ schreibt
Macura in der Einleitung. Das ist ihm gelungen! Von einem Zeichen das zu
entfernen, was es zum Zeichen macht, was es ermöglicht, das Zeichen zu „lesen“,
das Zeichen zu einem Symbol zu degradieren - und dann sein Geheimnis zu suchen.
Das ist wie Versteckspielen mit einem selbst! Durch die Entmythologisierung der
Ideologie wurde er dazu gezwungen, dem Buch den Untertitel „Symbole, Embleme
und Mythen 1948-89“ hinzuzufügen. Sonst wäre es nicht wirklich erkennbar
gewesen, welche Mechanismen aus welcher Zeit er eigentlich beschreibt.
Gegenwärtige? Zukünftige? Vergangene? Die Zeichen vollkommen zu
entmythologisieren gelingt Macura glücklicherweise nicht, im Gegensatz zu den
Entmythologisatoren von heute, bei denen wir bis zu dem Zeitpunkt nicht erkennen
können, ob sie von einem Fleischwolf sprechen, von der Rechtschreibung, von der
Freiheit oder der Zensur, bis der „Mechanismus“ alias die Vorschrift, das Vorgehen
oder das Verzeichnis von Regeln eingeführt wird, genauso wenig wie es ihm nicht
gelungen ist sich nur auf das zu fokussieren , was vom Zeichen übrig blieb, nämlich
auf das Symbol. Sonst wäre ja nichts übrig, über das man schreiben könnte, uns so
können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, daß Macura nur einige allgemein
bekannte Regeln thematisiert hat, um zu zeigen, daß er auch weiß, was auch die
anderen wissen. Und um zu beweisen, daß er sich nicht von denen Unterscheidet,
die er ins Gebet nimmt. Die betreffenden Mechanismen werden wir noch
erwähnen.
Die Bedeutung des Mythos für das Zeichen und die Art, mit der der Mythos durch
die Ideologie ersetzt wird, die Analogie zwischen Mythos und Ideologie (es geht um
eine Analogie mit Bezug auf das Zeichen), zeigt Fidelius am Para-Märchen über die
Propaganda im Kapitel „Das Märchen vom Stalin“.v
Dadurch daß er „nicht entmythologisiert“, behält Fidelius die stärkste Waffe
in den
Händen: den Bezug der Sprache zur Wirklichkeit, die Möglichkeit ein Zeichen zu
„lesen“. Und wenn er das folgende Beispiel erwähnt, dann wissen wir schon wovon
er spricht, dann wissen wir, daß es nicht nur um eine banale Gegenrede geht, auf
die er sich verengt hätte, wenn er „entmythologisiert“ hätte: „Erneut drängt sich
uns
hier Lenins Beispiel mit dem Orchester auf. In der Wahl bildhafter Vergleiche ist
Lenin in der Tat unerreichbar. Die ,sozialistische Gesellschaft’ ähnelt einem
Orchester, in dem die einzelnen Mitglieder eine mehr oder weniger wichtige Rolle