solche Welt dar, wie sie im Fernsehen erscheint und verhüllt die
wirkliche Welt.
Wann die natürliche Welt zu lediglich einem Bild der medialen Welt
wird, können wir ziemlich genau erkennen. Dies ist dann der Fall, wenn
wir aus voller Kehle beim Sonnenuntergang rufen: „Das ist aber kitschig,
das sieht genau wie im Fernsehen aus, das ist wie die Reklame für die
Busreise, auf der wir uns befinden.“ Danach gehen wir uns einen
Müsliriegel im Supermarkt kaufen. Das passiert uns häufiger als daß wir
darüber lachen könnten.
Schrittweise kommen wir zu der Überzeugung, daß alles, was außerhalb
der Reklame steht, schon einmal da war, die Welt beginnt wie eine
Reklame auszusehen.
Die Reklame enthält ein Text- und ein Bildelement. Alles zusammen
wirkt wie ein Teufelskreis: vom dominanten Bildelement angelockt, das
die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sucht der Zuschauer eine Erklärung
im Textteil der Reklame. Es kommt so zu einem Paradox,ii idas ihm
erneut das Bild eröffnet. Wenn er eine visuelle Nachricht wahrnimmt,
dann zwingt ihn die Unterbrochenheit oder Zusammenhanglosigkeit der
Bilder und der Welt (es ist egal, ob die umgebende Welt das Fernsehen
oder die Autobahn ist) die Erklärung durch den Text anzunehmen.
Während der Zuschauer den Mund vor Staunen öffnet, wir sein weiteres
Verhalten einprogrammiert. Die weitere Reklame verursacht, daß er im
Nachhinein vergißt, daß er programmiert ist.
Zu ergründen, ob ein Reklametext wahr, unwahr oder sinnvoll ist, oder
ob er gar informiert, ist Unsinn. Das ist irreführend.
Die Reklame ist auf eine bestimmte Weise (sie hat keine Logik, wirkt
aber) eine Verhexung (also Verzauberung, Erstarrung, Entzug des
eigenen Willens, Hingabe an etwas), sie zerstört das kausale Denken,
tischt ein Verhalten anhand von Stereotypen auf. Die Welt verzaubert sie
in eine Fernsehuniversum, in eine Fernsehideologie (eine gute und eine
schlechte Welt). Den Zuschauer verzaubert sie dann in einen
Konsumenten, der in der Funktion dieser Ideologie lebt. So wird dem
Zuschauer-Konsumenten sein Leben genommen, er kann ein vom
Reklameschema programmiertes Leben führen, er wird zu einer
Spielfigur, zu einem Roboter, sein Verhalten ist das Verhalten eines
Automaten. Die Ähnlichkeit zu einem Waschautomat der neuesten
Generation ist nicht abwegig.

Cacao meravigliao

Im Jahre 1986 lief auf dem italienischen Sender RAI 1 die
Unterhaltungssendung Indietro tutta (Alle Kraft zurück), die der
Schauspieler und Autor, Komiker und Musiker Renzo Arbore moderierte.
Ein fester Bestandteil der Show war die Parodie einer Reklame, durch die
die Vorstellung an angemessenen Stellen (nämlich völlig unerwartet,
ohne „Sinn“) unterbrochen wurde. Die Reklame für cacao meravigliao
(wundersames kakaoiges) verwies auf kein Produkt, auch kein
beabsichtigtes - das Wort kakaoiges verwies auf die Farbe der
brasilianischen Models, die in dem Live-Reklamespot auftraten. Die

Tatsache, daß die Reklame mit keinem Produkt verbunden wariv, wurde
zur Ursache dessen, daß innerhalb kürzester Zeit eine größere Zahl von
italienischen Geschäften, Bars und Apotheken mit Aufschriften versehen
waren: „Cacao meravigliao gerade ausgegangen“, „Cacao meravigliao
ausverkauft“, „Kein Cacao meravigliao“ oder sogar „Cacao meravigliao im
Laufe der nächsten Woche zu haben“. Gleichzeitig entfachte sich ein
Kampf von italienischen und ausländischen Produzenten
unterschiedlichster Produkte um die Rechte für die Marke „Cacao
meravigliao“, und darüber, wer Cacao meravigliao herstellen oder
importieren oder distribuieren werde. Niemand riskierte es jedoch näher
zu spezifizieren, um welches Produkt es sich handelt. Der Verkauf der
Firmen, die die baldige Markteinführung von Cacao meravigliao
ankündigten, stieg rapide, ähnlich wie die Besucherzahlen der Bars und
Läden mit den Aufschriften „Kein Cacao meravigliao“, „Cacao
meravigliao ausverkauft“, obwohl niemand den Hauch einer Ahnung
davon hatte, was wohl Cacao meravigliao sein könnte (Naivlinge
verbanden die Marke mit Kakao). Die Vermutungen des Publikums
waren sehr unterschiedlich. Der Werbespot verwies jedoch
ausschließlich auf sich selbst.
Nach der Absetzung der Sendung, die eine der höchsten Einschaltquoten
hatte, geriet Cacao meravigliao innerhalb kürzester Zeit in Vergessenheit.
Die Besitzer der Läden und die möglichen Hersteller und Importeure
beeilten sich, jegwelches Interesse an der Marke abzustreiten. Die Bars
und Geschäfte, die vergessen hatten, rechtzeitig die Schilder, die den
Verkauf von Cacao meravigliao ankündigten, abzunehmen, machten
bankrott. Cacao meravigliao wurde zu dem, was es ursprünglich
während der Dauer der Sendung Indietro tuttawar: ein nichtexistentes
Produkt. Erst jetzt existierte es für niemanden, jeder bestritt eine
Beteiligung an seiner Existenz. Die rätselhafte Erscheinung verschwand
so wie sie erschienen war.
Handelte es sich um ein Trugbild oder um Betrug? Nein. Keineswegs.
Trugbild und Betrug war die Tatsache, daß manche Geschäftsleute
versuchten, materiellen Inhalt als Bild von Cacao meravigliao zu
verkaufen. Nach dem Verdienst gingen sie bankrott, sie begingen im
Hinblick auf die Werberealität einen ähnlichen Betrug, als wenn anstatt
des „Petr{caron}íner Aussichtsturmes“ und der „Prager Burg“, einem
Etikett ohne Inhalt, die Interessenten versuchen würden den
Petr{caron}ín oder die Prager Burg wirklich zu verkaufen.
Sehen wir genau hin: wirklich ist das Bild aus der Werbung;
betrügerisch, irreführend, scheinbar (und unverkäuflich) ist das
wirkliche, anhand der Reklame konstruierte Bild. Verkauft wird eine
Bezeichnung oder ein Bild ohne Muster, nicht das, was sich dahinter
versteckt.
Das Programm, das eine breite Öffentlichkeit auf Cacao meravigliao
programmiert hatte, hörte auf zu funktionieren, wurde dadurch gelöscht,
daß sich sein „Wesen“ auflöste: es verschwand in den
Fernsehbildschirmen.

Etwas ähnliches versuchte erfolgreich vor den Wahlen in Italien im Jahre
1994 der cavaliere Silvio Berlusconi. Die Werbekampagne für das
ausgedachte und nichtexistente Produkt partito Forza Italiaerreichte
das ganze Land und war ähnlich erfolgreich wie einst Cacao meravigliao.
Im ganzen Land wurde schnell ein dichtes Netz von Forza Italia-
Distributoren geschaffen. Keiner sah das Produkt, jedoch hätten alle auf
eine Frage hin geschworen, daß sie wissen, worum es geht und sprachen
von sich aus oft farbig in Superlativen darüber. Wie? Das fiktive Produkt
unterschied sich von den anderen vor allem dadurch, daß ihm jegwelche
Verbindung mit der Wirklichkeit fehlte - es hatte nichts mit der
Vergangenheit oder der Gegenwart zu tun: es war nach vorne
projektiert, war ein Versprechen für die Zukunft. Eine nichtexistente
politische Partei wurde erstmals, in aller Konsequenz, mit allem drum
und dran, als Ware verkauft.
Das führte so vollendet zu seiner Massenverbreitung, daß sich auch
Symbole aus der Vergangenheit zu ihm hinzugesellten. Dadurch verlor
die Reklame an Glaubwürdigkeit und Effizienz. Die Forza Italiabegann
zu verlieren und wie eine andere politische Partei zu funktionieren.
Zuletzt fand sich in Berlusconis Büro eine Abhöranlage.
Was ist die Absicht der Reklame? Die Reklame ist der Motor und
gleichzeitig der verwundbarste und sensibelste Punkt der informierten
Welt. Sie ist eine der wenigen Orte, wo die mediale, informierte Welt mit
der wirklichen Welt zusammenkommt. Die Absicht der Reklame ist es,
diese Verbindung mit der Wirklichkeit auf das nötigste Minimum zu
beschränken.
Es kommt nun nur noch darauf an, etwas neues auszudenken, was man
dem Publikum verkaufen könnte. Ihm eine kleine Überraschung zu
bereiten. Etwas, was sich jeder kaufen muß und dessen Produktion
nichts kostet. Neben Detergenzien, Beutelsuppen und Motorenölen,
neben Wasser und Luft, wird dem Publikum nur sein eigenes, nacktes
Leben verkauft werden. Dazu wird man als Belohnung, als Prämie oder
als Zubehör, eine Waschmaschine, ein Automobil, ein Handy und einen
Computer erhalten.

Fälle, in denen die Menschen wissen, was sie wirklich wollen,
sind selten, auch dann, wenn die oben genannten behaupten,
daß sie es wissen

Die Verbundenheit zwischen der Werbung und der Ware ist klein, falls
es überhaupt eine gibt.v Die Werbeagenturen verkaufen vor allem sich
selbst. Ein zu starkes Beharren auf der Wirklichkeitstreue des Produktes,
eine Verdeutlichung seines Inhaltes, eine zu starke Verbindung mit der
Realität kann einer Reklame schaden. Beispiele für Reklamen sind auch
Wahlkämpfe und Auftritte von Politikern in der Öffentlichkeit. So wie die
Reklame keine Rücksicht auf den realen Inhalt des Produktes nimmt, so
wie sie sein Bild verselbständigt, so kann man auch die politischen
Versprechen und Ausführungen, zumindest anhand der Politiker selbst,
nicht für bare Münze nehmen. Politik ist immer im Dienst der Werbung,

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