100 000 Gewalttaten bevor es die Grundschule beendet, alleine das
beliebte Kinderprogramm Tom und Jerryenthält 88
Gewalttaten in der
Stunde, ein normaler Gewalttag im amerikanischen Fernsehenvzählt
1846 Gewaltszenen (davon 20% Schießereien, 21% schwere Aggression).
Laufend erscheint eine Fernsehinformation für Drogen (Rauchen,
Alkohol, Drogen), auf eine Information gegen Drogen, Alkohol und
Rauchen kommen sechs Nachrichten dafür (Nachrichten, die aussagen:
fühlst du dich schlecht, dann nimm eine Drogevi). Auf der anderen Seite
ist ein direkter Zusammenhang zwischen der Gewalt auf dem Bildschirm
und der Gewalt auf der Straße nie bewiesen worden (auch in der
umgekehrten Richtung) und kann schwerlich bewiesen werden. Es
scheint, daß das einzige, was direkt mit der wachsenden Fernsehgewalt
zusammenhängt, die wachsende Zahl der Kämpfer gegen die Gewalt im
Fernsehen (und gleichzeitig sorgfältiger Fernsehzuschauer) ist, die auf
den Fernsehbildschirmen erscheinen, sowie ihre wachsende
Aggressivität. Mehr kann man wirklich nicht sagen.
Weiter. Die Kinder lernen, die Welt durch das Fernsehen
kennenzulernen anstatt durch die Wirklichkeit. Hier muß man sofort
entgegenhalten, daß sie so richtig lernen, weil sie im Leben
wahrscheinlich (außer einem Ausflug in den Zoo in einer Zeit, zu der sie
seine Bewohner bereits vertraut vom Bildschirm her kennen) nichts
mehr außer der Fernsehrealität erleben werden. Die Kämpfer gegen die
Gewalt im Fernsehen bewegen sich vom Fernsehen keinen Zentimeter
weg, sie verwechseln selber die Welt inner- und außerhalb des
Fernsehers, endlich wissen wir, um wen es geht. Statt die Kinder im
Fernsehen zu schützen, sollten sie die Nestlinge vor der Wirklichkeit
beschützen: die Kinder, die sich durch das ungesunde Spielen auf dem
Spielplatz, in Parks auf der Straße schaden, sanft aber bestimmt darauf
aufmerksam machen, was sie heute auf dem Bildschirm sehen können.
Die Pimpfe hätten dann keine Zeit mehr für kleine Lumpereien, die
Kriminalität würde sinken, und statt dessen, daß auf einem Spielplatz das
rabiate Geschrei zu hören wäre: „He, komm ma’, da läuft die Fischerová,
die aus der Glotze, probier mal ob sie lebendig ist“, würden wir vor dem
Bildschirm das erstaunte: „Kuck mal, der Herr mit den Hörnern und dem
Pferdefuß, der so unchristlich am Sandkasten geflucht hat, daß wir auf
dem der Kirche spielen, das war Halík, schalt mal auf ein anderes
Programm um“, hören. Selbst dort könnten sie seinem Geschwafel
jedoch nicht entkommen.
Das was Kinder (und letztendlich auch Erwachsene) lernen, sind
Fernsehstrukturen und -formen, das, was im Fernsehen gelehrt wird ist
die Begrenzung der Wahl: entweder das eine oder das andere. Es gibt
keine andere Wahl als die zwischen zwei (gegebenenfalls drei) Kanälen -
dem Kind, und mit der Zeit auch dem Erwachsenen, kommt es nicht in
den Sinn, daß es zwischen dem Fernsehen und etwas anderem wählen
könnte.
Die Wertestruktur im Fernsehen ist anders als in der Wirklichkeit, die
finalen Werte der Wirklichkeit werden im Fernsehen strumental und
anders herum (zum Beispiel ist der Endwert des Fernsehens glücklich vor
Fernsehen auszustrecken um auszuruhen, lassen wir die Kinder gucken,
damit sie eine Weile keinen Ärger bereiten, wir beeilen uns, damit wird
den Beginn der Serie schaffen, statt daß wir die Serie schneller machen,
weil wir rechtzeitig zu einer Verabredung kommen möchten). Die
Unmöglichkeit die festen Fernsehstrukturen anzupassen zwingt uns
dazu, die Strukturen des Lebens zu ändern. So äußert sich Fernsehgewalt.
Die Gegner des Fernsehens kämpfen gegen die Gewalt im Fernsehen, um
dann - einige von ihnen - die Todesstrafe gutzuheißen. Sie geben
Zehntausende für Videos aus, sie können keine Amme bezahlen. Es geht
oftmals um Individuen, die dem Fernsehen oder der Ideologie verfallen
sind. Wenn sie für sich kämpfen, warum bringen sie die Kinder ins Spiel?
Zudem: die Kämpfer gegen Gewalt auf dem Bildschirm sind de facto der
Grund, warum Gewalt auf dem Bildschirm überhaupt ist - um
Aufmerksamkeit zu erwecken.
Wer die Macht mag, führt einen Kampf um sie, die Ideologie (aufgeteilt
in das Richtige und seinen Gegensatz) ist dann eine starke Waffe.
Ideologie im Fernsehen hat die selben Folgen wie in der wirklichen Welt.
Die Fernsehideologie fesselt das Bild an die Wirklichkeit.vi i
Wenn wir das entsprechende Verzauberungsritual durchführen, nämlich
wenn wir den Fernsehknopf drücken, ist es möglich die magische Welt
der Gewalt zu zerstören. Es ist keine Gewalt, die sie als wirkliche Welt
darstellt. Durch das Ausschalten des Fernsehers zerstören wir jedoch
gleichzeitig (die nun schon virtuelle) eigene Teilhabe der Macht. Wir
geben den Kampf um unseren Anteil an der Macht auf. Besser ist es, mit
den Kindern zu argumentieren.
Erinnern wir uns nun jedoch einen Augenblick an Huysmans’ Bild von
des Esseintes vom Anfang, so ist es uns, wie wir im weiteren sehen
werden, von Nutzen.
die Liveübertragung. Die direkte Übertragung ist auf ihre Weise für den
Zuschauer ein Paradox: siehe,
ich bin hier und gleichzeitig dort.
Die
Direktübertragung bzw. die Aufzeichnung einer Direktübertragungvi ii
gehört zu den schweren Geschützen der Eskamotage des Fernsehens, zu
den wichtigen Manipulationsmitteln des Fernsehens. Der Glauben, daß
wir das Fernsehen bei einer Lüge ertappen können, macht uns zu seinen
Gefangenen. Das Fernsehen lügt nicht, weil es nicht die Wahrheit sagen
kann. Nur durch Tabuisierung kann die Illusion einer Lüge entstehen: der
manipulierte, und damit falsche (z.B. sozialistische) Realismus. Durch die
totale Überführung bzw. die Illusion der totalen Demonstration
verschwindet die Realität vollkommen.
Wenn das Fernsehen über ein Argument nichts zu verschweigen hat,
vertraut ihm der Zuschauer nun vollends, er weiß, daß er das Fernsehen
nicht bei einer Lüge ertappen kann, daß er vollkommen in seiner Macht
steht (nunmehr begreifen wir bereits die Bedeutung der Sendung Tabu).
Durch die vollkommene Überführung (bzw. ihre Illusion, wie wir im
des Fernsehens ersetzt, welche man schon nicht mehr vergewaltigen
muß: man kann sie willkürlich erschaffen. Die Zensur ist eine größere
Gefahr für das Fernsehen als für den Zuschauer (z.B. zerstört die Zensur
die künstliche Welt: das Hauptmerkmal des sozialistischen Fernsehens
war die Bemühung um Korruption, um die Manipulation der Wirklichkeit
und demnach die Korruption und Manipulation des Zuschauers - es war
egal, ob der Zuschauer dem Fernsehen glaubt oder nicht glaubt; der
Sender NOVA treibt diese Manipulation zur Perfektion: sie korrumpiert
nicht die Realität, das ist nicht nötig, sie erschafft die Realität selbst neu,
statt Korruption programmiert sie den Zuschauer einfach neu).
Die Direktübertragung oder ihre Illusion - es handelt sich um ein und
dasselbe, allgemein kann man nicht erkennen ob es sich wirklich um
eine Direktübertragung handelt - kann man mit vielen Mitteln erschaffen:
ein übliches Instrument sind die klingelnden Telefone der Zuschauer
(diese werden oft und fälschlicherweise als eine Demonstration des
beidseitigen Dialogs zwischen dem Zuschauer und dem Fernsehen
ausgelegt), die Aufzeichnung von Bildschirmen mit den selben oder mit
anderen Programmen während der Übertragung, der Eintritt von
technischem Personal in die Sendung, gerade eingegangene Nachrichten,
zufällige Begebenheiten, Gespräche, ein direkter Verweis zu den
Zuschauern, künstliches oder vorher aufgezeichnetes Lachen oder eine
andere Reaktion des Publikums, Spiele, Wettbewerbe, Auslosungen,
falsche Publizistik usw. usw. und vor allem, und das ist das wichtige, die
Ankündigung einer Direktübertragung als eine Direktübertragung.
Analogien von Direktübertragungen sind auch einige Serien, die
benutzen oft technische Mittel, die die Illusion einer Direktübertragung
kreieren (ein trauriges Beispiel eines völlig falschen Verständnisses dieser
Vorgehen zu Beginn des Senders NOVA war die Serie die Novaken).
Die Direktübertragung schafft durch seine Nicht-Wiederholbarkeit bzw.
durch seine Illusion der Nicht-Wiederholbarkeit eine Täuschung, eine
Fiktion über die Faktizität. Nur bei einer Direktübertragung (oder ihrer
Imitation) verwandelt sich die Realität direkt in ein Bild.
Unwahrscheinliche Konfigurationen (die gleichzeitige Exklusivität der
Akteure und Themen, die Reichweite der Übertragung, z.B. Intervision,
Eurovision u.ä., die Blutigkeit der Geschehen usw., dies alles stuft das
Maß an Exklusivität und Unwiederholbarkeit ab) erhöhen seine
Überzeugungskraft. Alles wird an der Realität des Übertragenen
gemessen. Eine Fernsehübertragung hat bis zu einem bestimmten
Moment keine eigene Existenz, ist bis zu einem bestimmten Augenblick
von der Wirklichkeit abhängig. Der Zuschauer kann sich nie durch das
bloße Beobachten eines Fernsehbildes davon überzeugen, ob es sich
tatsächlich um eine Direktübertragung handelt oder nicht. Das
Kriterium, ob es sich um eine Direktübertragung handelt, ist die
Nichtuntertscheidbarkeit des Übertragenen im Hinblick auf die
Beobachtung, wie sich die Übertragung verändert, wenn sich die
Wirklichkeit (das Übertragene) ändert. Unsere Verifizierung besteht
darin, daß wir kontrollieren, ob in der Wirklichkeit dasselbe passiert wie
auf dem Bildschirm, und nicht darin, daß sich auf dem Bildschirm