Direktübertragung verfolgen (wenn wir die Wirklichkeit verfolgen,
verfolgen wir nicht die Direktübertragung).
Wenn zu uns ins Zimmer ein Ansager kommt, dann kommt doch ein
Ansager aus der Fernsehübertragung (und zerstört sogleich die
Übertragung als Täuschung). Dadurch wird das Verhältnis umgekehrt,
die Fiktion auf dem Bildschirm wird faktisch, also zur Wirklichkeit, und
das Geschehen, also die wirklichen Fakten werden zur Fiktion. Von
diesem Augenblick an hört die Direktübertragung auf, von der
Wirklichkeit abhängig zu sein: dies messen wir nun anhand der Realität
des Übertragenen. Die Wirklichkeit hat nun seine Existenz nicht mehr,
sie hängt vom Fernsehen ab, sie endet mit der Direktübertragung. Die
Dringlichkeit der Direktübertragung ist durch seine Sterblichkeit
gegeben, man muß sie schaffen, bevor sie zur Aufzeichnung wird, vor
allem anderen, bevor der Ansager ins Zimmer tritt. Mit dem Ende der
Direktübertragung stirbt die Fiktion (nun bereits Wirklichkeit), sie stirbt,
hört auf zu dauern, wir sehnen uns danach, sie neu herbeizurufen, sie
neu zu erleben, wir warten auf die nächste Übertragung im Fernsehen.
Die Fiktion wird unsterblich durch die Wiederholung der Übertragung
(durch die Fernsehaufzeichnung). Es beginnt ein weiteres Programm im
Fernsehen...
Ursprünglich hängt die Übertragung, bis zu einem bestimmten Moment,
von der Realität ab, danach hängt die Realität bereits davon ab, wann das
Fernsehbild endet.
Die Direktübertragung bereichert die Wirklichkeit, ist in gewissem Sinne
reichhaltiger, dramatischer als die Wirklichkeit selbst. zum Beispiel
können wir durch die Verwendung verschiedener Kameras das
Übertragene willkürlich strukturieren, es um Sinn und Bedeutungen der
Fernsehwelt bereichern. Eine Handlung schaffen. Die Direktübertragung
bereichert die Wirklichkeit, die Wirklichkeit selbst enthält sie jedoch nie.
Lassen wir jedoch jetzt die Klügelei. Die Direktübertragung, welche jetzt
gerade auf dem Programm steht, wird doch nie mehr wiederholt!
Verdecktes Gesicht und offene Aussage! Die Sendung Tabubeginnt
gerade. Tamtatataaa!
bleiben können
Zauberritual durchführen, nämlich wenn wir den Knopf des Fernsehers
drücken, eine magische Welt bewegter Bilder. Nur das, was von der
Fernsehkamera aufgenommen wird (und gesendet) ist wirklich. Wenn
wir diese technischen Fernsehbilder enthüllen, sie dechiffrieren wollen,
müssen wir ihre Position bestimmen. Dann müssen wir auch andere
Zusammenhänge finden als das Drücken des Knopfes und das Erscheinen
des Bildes.
Die Sendung Tabuist für den Zuschauer auf ihre Weise ein
Paradox. Sie
hat die Züge einer Direktübertragung, der Zuschauer ist hier und
gleichzeitig dort. Das Fernsehen verheimlicht dem Zuschauer nichts. Es
seine Barschaft (fünf fünfzig) fünfmal abschließen muß, man kann mit
einem Schwerkranken sprechen, ohne daß der Zuschauer ihn hinsitzen
lassen muß, ohne Scham und Emotionen kann man erfahren, wie man
ein Kind vergewaltigt, oder den Mord an Eltern durchleben, und
letztendlich, wenn die Person hinter der Blende dem Zuschauer
sympathisch ist und auch sie keine Angst vor ihrem Gegenüber vor dem
Fernseher hat, schütteln sie einander die Hand. Derjenige, den die
Sendung Tabuanwidert, kann den Fernseher ausschalten,
aber dann
wird er wohl nicht ganz in Ordnung sein und wird so zu einem heißen
Kandidaten für die nächste Übertragung. Im gegenteiligen Fall wird er
wahrscheinlich noch auf den Porno (oder was) warten, der auf die
Sendung Tabufolgt. Ob so oder so, es kommt aufs Gleiche
heraus, ob
jemand hinter der Blende oder vor dem Bildschirm ist. In beiden Fällen
ist er nicht zu sehen. Dem Fernsehen ist das Unmögliche gelungen: der
Zuschauer wird zum direkten Teilnehmer seiner Fernsehübertragung,
ohne sein eigenes Wissen wird der Zuschauer mit der Person hinter der
Blende identifiziert, beide leben dasselbei x(in
manchen Fällen sehr
halsbrecherische Situationen: ein Mann, der zur Frau wurde, um mit
Frauen zu schlafen die Männer sindx). Es
kommt nicht darauf an, ob der
Zuschauer (oder die Person hinter der Blende, während der
Übertragunszeit sind beide Rollen identisch) mit dieser Rolle
einverstanden ist oder nicht, jetzt kann er direkt manipuliert, bearbeitet
werden. Während der Übertragungszeit ist der Zuschauer selbst der
Held. Tritt jedoch die Person hinter der Blende vor die Kameras, dann
wird die Verbindung beendet. Die Rolle bekommt ihre bildliche
Reichweite, bis jetzt hatte sie nur eine sprachliche. Damit ist der
Zuschauer aus der Rolle des Akteurs ausgeschlossen.
Für die Zeit der Sendung lebt der Zuschauer ein reicheres,
dramatischeres Leben als der einfache Zuschauer einer anderen
Direktübertragung oder einer anderen Fernsehaufzeichnung, seine
Fernsehrealität übertrifft die wirkliche Realität, auch wenn er einiges
davon nicht mitbekommt, sie ist lebendiger als jeder Film. Er kann selbst,
virtuell und in den Grenzen der Regeln (der Sprache) in sie eingreifen.
Die Regeln des Spiels sind durch die Benutzung verschiedener Kameras
gegeben, mit denen der Schöpfer der Sendung die Sendung willkürlich
durch die Länge der erlaubten Interferenzxi, vor allem aber durch die
Rollen der Teilnehmer strukturieren kann. Die Rollen auf dem Bildschirm
sind klar aufgeteilt, auch durch die Verteilung im Raum, auf der
Bildschirmfläche. Der Platz hinter der Blende ist vom Zuschauer besetzt,
die Rolle wird dadurch charakterisiert, daß was auch immer der Akteur
vorträgt ernst genommen werden muß, das Gleichgewicht zwischen der
Sprache (der Rolle hinter der Blende) und dem Bild (der Rolle vor der
Blende) darf nicht gestört werden. Es spielen (Rollen vor der Blende): In
der Rolle des S{caron}mucler tritt Dr. med. S{caron}mucler auf, er ist
verantwortlich für den Verlauf der Sendung, dadurch nimmt er auf seine
Schultern die gesamte Schlechtheit der Welt und der Teilnehmer, wir
nehmen an, daß er nach Ende des gesamten Zyklus vonTabu selbst zum
Mörder wird, in der Rolle des Uzel alternieren Dr. med. Uzel, Dozentin
ermöglicht es, gerade weil sie die Rolle dessen ist, der nicht weiß, was er
redet und jederzeit von der Autorität vor der Blende (S{caron}mucler)
oder hinter der Blende (Zuschauer) unterbrochen werden kann, die
Sendung gut zu strukturieren und durchzuführen (erinnern wir uns, wie
sich in der Sendung mit dem Gigolo die Brdec{caron}ková bemühte sich
gegen diese Rolle aufzulehnen: dem Gigolo-Zuschauer die Rolle des
Gigolos zuzuweisen; sie schaffte es keine ganze Minute der Rolle zu
widerstehen), also die faktische Welt zu konstruieren, der Bösewicht
wird hier, zusammen mit S{caron}mucler, zum Helden. Weiterhin wirken
noch die Telefonistinnen mit. Die Aufgabe ihrer Rolle ist es, die
Normalität der dargestellten Welt zu bestätigen.x i i
Erinnern wir uns noch einmal an die Situation, in der sich Huysmans’
Held des Esseintes befand, in welchem Licht erscheint er uns nun? Das
werden wir im weiteren sehen.
Anfang steht der Rohstoff verschiedener Qualität, der auch einen
unterschiedlichen Anteil an taubem Gestein enthält. Klassifiziert und
gesäubert wird er im großen verkauft, der Großhandelspreis für eine
Einheit, je nach Reinheit der Lieferung und der Marktsituation beträgt elf
Heller. Ein ansehnliches, mit jeweils tausend Einheiten gefülltes Paket
wandert zu seinem Verbraucher, das Pakerl für ungefähr vier Dollar. Hier
wird der Rohstoff weiter verarbeitet und zu einem Halbfabrikat geformt,
automatisch, ohne die Berührung einer menschlichen Hand wird der
Preis so aufgewertet und das geformte Fabrikat wird weiterverkauft. Das
finale Produkt, das am Ende des ganzen Prozesses herauskommt, ist ein
Mirakel von technischem und menschlichem Können und Fantasie: es
handelt sich um einen leblosen, genau programmierten Automaten. Er
kann wieder und wieder, fast unendlich, verbraucht werden, und
obwohl er zum größten Teil im Ausland verkauft und verarbeitet wird,
bewegt er sich nicht aus seinem Fernsehsessel hinaus. Die gesamte
Operation, ob bewußt oder gegen den eigenen Willen, finanziert er von
seinem Geld. Es ist dabei egal, ob der Zuschauer mit dem Fernsehen oder
mit der gesamten Operation einverstanden ist oder nicht, oder ob er sie
auslacht oder nicht ernst nimmt.
Den gesamten Sender NOVA bezahlt der Zuschauer aus seiner eigenen
Tasche. Das kostet um einiges mehr als die Gebühren für das öffentlich-
rechtliche Fernsehen. Er hat dafür eine Garantie für das regelmäßige
Verfolgen der Sendungen Dallas, Die Novaken, Riskusw.
Dazugerechnet wird auch die Brille und die Verkleidungen von Dr.
Z{caron}elezný. Als Entschädigung kann er tagtäglich in allen Läden
garantiert dieselben Kekse kaufen, mit demselben Etikett darauf. Auf der
ganzen Welt, wohin auch immer er mit dem Sender NOVA hingelangt,
wird es garantiert dieselben Hamburger geben. Somit wird der
Zuschauer alle Sendungen verstehen.