Die Nationalisierung und Politisierung der öffentlichen Verwaltung in Mitteleuropa 1848–1948. Der Beamte als Diener vieler Herren?

Datum konání: 
16. 11. 2017, 0:00

beamten-verein_fi.jpg?itok=5uqKyxhy Organisator: Zentrum für mitteleuropäische Studien / Centrum středoevropských studií (gemeinsamer Arbeitsplatz des Masaryk-Instituts und Archivs der Tschechischen Akademie der Wissenschaften (MÚA AV ČR) und der Hochschule CEVRO Institut) und Archiv der Hauptstadt Prag
Termin: 16. November 2017
Veranstaltungsort: Prag, CEVRO Institut, Jungmannova 17
Konferenzsprache: tschechisch und deutsch


Die Mitte des 19. Jahrhunderts markiert einen Bruch in der Entwicklung der öffentlichen Verwaltung innerhalb des mitteleuropäischen Raums. Das mit der Demontage des patrimonialen Systems entstandene Vakuum musste durch eine neue Struktur staatlicherseits eingerichteter und mit einem neuen Beamtentypus besetzter Ämter ersetzt werden. Zwar setzte der Kaiser die Märzverfassung unvermittelt außer Kraft, doch kam von Stadions Idee einer Zweigleisigkeit und einer Wechselwirkung und eines gegenseitigen Ausgleichs zwischen Staatsverwaltung einerseits und Selbstverwaltung andererseits dennoch in den 1850ern und 1860ern allmählich zur Umsetzung und bestand dann zumindest im westlichen Teil der Habsburger Monarchie bis zu deren Zerfall unverändert fort. Neu entstandene Gemeinden, Bezirke und Länder erlangten die Möglichkeit, ihre eigenen Belange selbst zu verwalten, autark zu wirtschaften und das ihnen anvertraute Siedlungsgebiet zu entwickeln, wobei der staatliche Beamte die Aufgabe hatte, die Einhaltung der Gesetze zu überwachen und in der Vielvölkermonarchie die Rolle eines unparteiischen Schiedsrichters zu spielen. Die wachsende Bürokratisierung und die wachsenden Ansprüche des Staats betreffend die Kontrolle über die sich herausbildenden Volksgemeinschaften erzwangen freilich die massive Anwerbung eines Beamtentums, welches sich aus den Mittel- und unteren Schichten rekrutierte, und zwar auch für führende Positionen. Auf diese Weise brach in wenigen Jahrzehnten das bisherige patriarchale Modell von Beamtendynastien zusammen und die in sich geschlossene Bürokratenkaste öffnete sich einer Zivilgesellschaft, die ihr Nationalbewusstsein zu entdecken begann. Damit machte ein neuer Typ des Beamten seine Erscheinung: mit klarer nationaler Verortung, ohne familiäre Verankerung im Verwaltungsapparat über Generationen hinweg und mit Bildung und Sprachkenntnissen als Hauptdevise. Dies war keineswegs auf autonome Ämter beschränkt: zu Ende des 19. Jahrhunderts war dieser Beamtentyp auch in der staatlichen Verwaltung bereits gang und gäbe.


Während in der Selbstverwaltung auf allen Ebenen ein Kampf um den Erhalt und die Konservierung der Positionen (in Abhängigkeit von den Wahlergebnissen) stattfand, wurden die staatlichen Behörden zu Beginn des 20. Jhs. ohne Unterschied zum Ziel aller politischen Parteien, die nach einer "proportionalen" Vertretung "ihres" Volks in Führungs- sowie subalternen Positionen riefen, was freilich nur der erste Schritt war: im nächsten Schritt erklärten sie denjenigen zum geeigneten Kandidaten, der ihnen die Treue schwur. Größere Spielräume eröffneten sich erst nach dem Fall der Monarchie, als in den Nachfolgestaaten im Rahmen republikanischer Regierungsformen die politischen Parteien die Exekutive beherrschten und zunehmend die Besetzung von Schlüsselposten der öffentlichen Verwaltung diktierten. Dabei zeigte sich deutlich, dass sich die politischen Eliten sehr wohl der Wichtigkeit eines ordentlichen und reibungslosen Verwaltungsbetriebs bewusst waren, der für die Erhaltung des nach dem Krieg aufgestellten Status Quo unabdingbar war; ihre Ein- und Übergriffe in dessen Struktur trugen dieser Wichtigkeit entsprechend Rechnung. Aus diesem Grund wurde u.a. auch die monokratische Form des Entscheidungsprozesses beibehalten, welche die Tschechoslowakische Republik aus der österreichischen Praxis übernahm und die bis Ende des Zweiten Weltkriegs Bestand hatte. Dass diese durch eine kollektive Ausübung der Staatsgewalt vermittels der Nationalausschüsse ersetzt wurde, war Vorbote der grundlegenden Umwälzung, die in der öffentlichen Verwaltung von der dann bereits allein herrschenden Partei nach 1948 vollzogen werden sollte.


Dies sind die Themen, die wir im Rahmen der Konferenz gerne näher beleuchten würden:

  • Einbindung des staatlichen Beamtentums und des Beamtenapparats der Selbstverwaltung in politische und nationale Fehden, Nähe bzw. Verbindung zu politischen Parteien und Unterstützung konkreter Beamtengruppen durch politische Parteien,
  • Verhältnis der staatlichen Verwaltung zu politischen Parteien, die zum Regime in der Opposition stehen,
  • Haltung des Staatsbeamtentums in politischen Krisen; die Frage seiner Loyalität und seiner Anpassung an sich wandelnde staatsrechtliche Strukturen,
  • diverse Formen der Einmischung seitens politischer Parteien und Interessenbewegungen in die Entscheidungsfindungsprozesse der öffentlichen Verwaltung,
  • politische Korruption, klientelistische Gruppierungen und Vernetzung zwischen öffentlicher Verwaltung, politischen Parteien und Wirtschaftseliten,
  • nationale Indifferenz und die Frage der (nationalen) Identität des Beamtentums,
  • Wirken der Akteure der öffentlichen Verwaltung als Regulatoren des öffentlichen Lebens.


Bitte reichen Sie eine Skizze Ihres geplanten Vortrags (200 – 400 Wörter) in deutscher oder tschechischer Sprache bis zum 30. 6. 2017 ein bei:
klecacky@mua.cas.cz
Die Herausgabe eines Tagungsbandes ist beabsichtigt.

 

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