Internationale Konferenz zu Riegers 200. Geburts‐ und 115. Todestag
Veranstaltungsort: Univerzita Karlova, Ovocný trh 5, Praha 1, Vlastenecký sál
Organisation: Masarykův ústav a Archiv AV ČR, v. v. i. [Masaryk-Institut und Archiv der Tschechischen Akademie der Wissenschaften]; Národní muzeum [Nationalmuseum in Prag]; Univerzita Karlova [Karls-Universität in Prag]
Konferenzsprachen: Tschechisch, Deutsch, Englisch
František/Franz Ladislaus Rieger (1818–1903) zählt zu den Schlüsselfiguren der Habsburgermonarchie in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er hinterließ vor allem in der Geschichte der tschechischen modernen Politik, Kultur und Wissenschaft unauslöschliche Spuren. Sein Lebensschicksal ist eng mit der erfolgreichen Entwicklung der modernen Gesellschaft verflochten. An der tschechischen Nationalbewegung hatte sich Rieger bereits in den 1840er Jahren intensiv beteiligt. Als erster Höhepunkt seiner öffentlichen Tätigkeit darf das Engagement in der Revolution von 1848 gelten, wo er zum führenden Abgeordneten des österreichischen Reichstags wurde. Nach der Niederlage der Revolution bereiste er zahlreiche westeuropäische Länder und studierte dort die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Die gewonnenen Erkenntnisse versuchte er anschließend im Milieu der Habsburgermonarchie anzuwenden. Die Zeit der politischen Unfreiheit in der Ära des Neoabsolutismus ließ ihn Zuflucht in der Organisation des gesellschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Lebens suchen. Die Eheschließung mit der Tochter František/Franz Palackýs steigerte Riegers gesellschaftliche Bedeutung noch weiter; von seiner Familie sprach man als der „ersten Familie der tschechischen Nation“.
Ein neuer Abschnitt in Riegers Leben begann mit der Erneuerung des Verfassungssystems im Jahr 1861. Rieger kehrte auf den Boden des Parlaments zurück und stellte sich an die Spitze der tschechischen Nationalpartei (Národní strana). In einer Zeit zugespitzter ideeller und nationaler Konflikte tauchte erstmals auch Riegers Ehrenbezeichnung Führer der Nation auf. Dem Aufstieg der tschechischen Gesellschaft in den 1860er und 1870er Jahren folgten allerdings keine politischen Erfolge. Anstelle des staatsrechtlichen Programms hatten daher die Anstrengungen um nationale und sprachliche Gleichberechtigung Priorität. Rieger war in den 1880er Jahren nicht nur bei der Eröffnung des Nationaltheaters, sondern auch bei der Entstehung der tschechischen Universität und dem Neubau des Nationalmuseums präsent. In Wien gehörte er zu den wichtigen politischen Akteuren. Damals schritt er erneut über die Grenzen des tschechischen politischen Horizonts hinaus, profilierte sich als österreichischer Politiker und betrat auch den Boden der Außenpolitik, wobei er allerdings umsichtiger handelte als früher. Die Jahrzehnte politischer und kultureller Erfolge sollten durch den Abschluss des deutsch-tschechischen nationalen Ausgleichs gekrönt werden. Die sog. „Punktationen“ wurden jedoch von den konkurrierenden Jungtschechen abgelehnt und Riegers Alttschechen erlitten in den Wahlen 1891 eine vernichtende Niederlage. Rieger wurde als „elender Verräter der Nation“ vom Piedestal des politischen Führers gestürzt...
Die Organisatoren der Konferenz verfolgen nicht bloß die biografische Ebene von Riegers vielfältigem Wirken, sondern möchten allgemeinere Probleme, Themen und Kontexte erfassen, wie sie für Gesellschaft und Politik der Habsburgermonarchie im 19. Jahrhundert typisch waren. Angestrebt wird ein komplexes und vielschichtiges Bild von der Entwicklung der tschechischen bzw. österreichischen Gesellschaft mit Anbindungen bzw. thematischen Konnotationen zum öffentlichen Engagement F. L. Riegers, seiner engsten Mitarbeiter und auch seiner Gegenspieler. Die Organisatoren sind außerdem an der Tätigkeit und Entwicklung von (politischen, kulturellen, gesellschaftlichen) Institutionen interessiert, die näher mit F. L. Rieger verknüpft waren. Berücksichtigt werden sollten auch Themen, Prozesse oder Phänomene, die Rieger stark interessierten und denen er sich selbst widmete. Gefragt wird weiterhin nach ähnlich breit aufgestellten Persönlichkeiten des politischen Lebens, wobei hier besonders die anderen Nationalgesellschaften innerhalb der Habsburgermonarchie im Mittelpunkt stehen sollten.