zirkuliert zwischen den Adressen. Falls der Adressierende spricht, spricht er nur zu
sich selbst. Nichts außer einer Adresse geht von ihm zum Adressaten über, nichts
außer einer Adresse kommt zu ihm zurück, der Zirkulierende stoppt bei seiner
Adresse. Die gemeinsame, geteilte Welt verschwindet, zerfällt, wird von Adressen
ersetzt. Diese sind uniform festhaltbar. Es ist nicht notwendig darüber zu sprechen,
was nicht existiert, es existieren nur Adressen. Über sie hinaus kann man nicht
gehen.
Das, was zirkuliert, sind lediglich Informationen über die Umleitung an eine neue
Adresse oder die Nachricht über den Verlust einer Adresse, die Nachricht über den
Verlust einer Umleitung. Die Existenz der Adresse beruht auf ihrer Adressierbarkeit,
besteht darin, daß zumindest eine Verbindung besteht. Der Adressat in einer
informierten Welt kämpft um den Erhalt seiner Adresse, seines „Image“, um den
Erhalt der Verbindung. Die Illusion der Macht besteht in dem Grad der Versicherung
der Adresse. Der Adressat bemüht sich, durch Umleitung seine Adresse am besten
gegen den Verlust zu versichern. Verliert er seine Adresse, ist er für die informierte
Welt tot, sein Bild kann jedoch weiterleben. Das Hauptziel ist, sich an einen Knoten
anzuschließen, oder besser an eine Verknotung (irgendein Sub-Netz), die uns lenkt,
die uns die Adressierbarkeit garantiert. Das Ziel ist, ihr so nah wie möglich zu sein,
weil aus ihr die Illusion der Macht ausgeht. Das hierarchische Netzwerk der
Adressen (die Gesellschaft) bildet ein funktionales Ganzes. Probleme entstehen nur
im Bezug auf das Ganze, auf Teile des Netzwerkes, die autonom sein können. Wir
sind also nicht fähig, Probleme zu erkennen, ihnen zu entsprechen. Wir sind nicht
in der Lage zu sagen, ob wir uns für das System gut verhalten oder nicht. Man muß
sich nach dem Kriterium verhalten „seine Adresse zu erhalten“. Man kann jedoch
nie richtig wissen (bis auf Ausnahmen), ob man durch sein Verhalten eine
Abschaltung oder eine Anbindung hervorruft. Wir bleiben immer im Zweifel. Die
feste Bindung an die Medien, an „technische Bilder“x, ist das Hauptmerkmal der
Individuen, die die informierte Welt bevölkern.
Dem Menschen werden seine Fähigkeiten entzogen, die ihm die Fähigkeit geben zu
kommunizieren; dadurch ändert sich der Charakter seines Wissens. Die Sprache
(das Sprechen) funktioniert nicht, die Erkenntnis wird immer mehr reduziert, sie
zerfällt in Fragmente, die untereinander nicht zusammenhängen. Der Mensch
verwandelt sich völlig in eine Maschine.
Die vollkommen informierte Wirklichkeit hat ein erstaunliches Attribut. Sie verweist
auf die Unmöglichkeit, mit Hilfe der Sprache im Hinblick auf den Adressanten-
Menschen etwas festzuhalten (es gibt nichts, worüber und niemanden für den man
Aussagen treffen könnte). Die Unmöglichkeit was festzuhalten, wenn man keine
Aussagen treffen kann, wenn nur Adressen existieren? Die Fragen verlieren hier
ihren Sinn. Es bleibt nur eine. Kann man die Situation der vollkommen informierten
Welt verlassen? Existiert eine Welt außerhalb der vollkommen informierten?

Theater verkehrt herum

In einer informierten (postmodernen) Welt kehrt sich der größte Teil der Rollen
um.x iWas nicht übersetzbar war, wurde verlassen, die Wirklichkeit wurde in
universal kodierbare Aufschriften überführt, welche sich in „Konstruktion“ und in
der „Beschreibung“ nicht unterscheiden. Es gibt hier keine Vergangenheit, es gibt
nur die Zukunft, und die ist überall, wo immer wir uns auch hinwenden. Die Uhren
messen nicht die Zeit.
Ein Sprechender in einer informierten (postmodernen) Welt trifft keine Aussagen
über das Referierte, spricht nicht zu dem Zuhörer, sondern über das Referierende,
über sich selbst, für sich selbst. Egal was er sagt, er redet von sich und zu sich
selbst. Er manipuliert sich selbst. Die Umgebung jedoch imitiert ihn mit Freude oder
mit Murren.
Es beginnt das Postmodernismus-Spiel. Man kann es nicht unbemerkt lassen.
Manchmal spielt man es wie Fangen, manchmal wie Blinde Kuh, Verstecken oder
wie das Pfänderspiel. Derjenige gewinnt, der als erster als Postmodernist die Botte
erreicht. Er bestimmt dann schnell die regeln und das Ergebnis des Spiels. Dieses ist

für die Umgebung eine Vorstellung der Welt. Derjenige erhält ein Pfand, der nichts
errät, diejenigen, die die Augenbinde haben sind die gejagten.
In einer vollkommen informierten Welt zu leben, sich auf ein postmodernes Spiel
einzulassen und die Welt als vollkommen Informiert anzusehen, ist nicht gleich. Bei
einer Wette ist die Unkenntnis (das an der Nase herumführen) Betrug oder
Resignation.
Die postmoderne Betrachtungsweise ist das Betrachten der Welt als
selbstregulierendes Netzwerk („System“); die Knoten dieses Netzwerkes (die
Empfänger und Absender von Informationen über nichts) bilden alles, in der
Übermacht über physische Personen, deren willkürliche Gruppierungen und
Verbindungen, wie z.B. das Programm für die Reservierung für Eintrittskarten für
das Nationaltheater, genauso wie ein Index von Agenten der Stasi, also alles, was
durch die Meldung geformt wird oder sie formt. In dieser Vision der Welt sieht der
Mensch keine zwei Schritt weit. Ein solches System kann nur sehr zufällig
selbstregulierend und selbstreparierend sein (es hat ein Ziel seines Verhaltens, und
dieses kann nicht in Terminen seiner Knoten definiert werden), und zwar eher im
Hinblick auf das Programm für die Kartenreservierung oder auf das Verzeichnis der
Agenten. Auf der anderen Seite kann sich jeder Knoten dieses Netzwerkes, wenn er
dazu fähig ist, eine Frage stellen. Dadurch legitimiert er seine Geschichte, stört er
die Übersetzbarkeit. Er tritt aus der postmodernen Situation heraus.

Die Welt auf Etiketten

„Einmal suchte er eine kleine Unterlage, die er benutzte, um das Metall zu
schmieden, und erinnerte sich nicht daran wie sie hieß. Sein Vater sagte ihm
den Namen: ,Amboß’. Aureliano schrieb ihn auf ein Stück Papier, klebte es
mit arabischem Gummi auf den unteren Teil der Unterlage und war sich
sicher, daß er das Wort Amboß in Zukunft nicht mehr vergessen würde. Er
machte sich nicht bewußt, daß gerade dies das erste Zeichen des Vergessens
ist. [...] Als sich ihm sein Vater beunruhigt anvertraute, daß er sogar die
tiefsten Erinnerungen aus der Kindheit vergesse, erklärte ihm Aureliano seine
Methode und José Arcadio Buendía wandte sie im ganzen Haus an, um sie
später im ganzen Städtchen durchzusetzen. [...] Und so lebten sie inmitten der
schlüpfrigen Wirklichkeit, die sie für den Moment mit Worten eingefangen
hatten, die ihnen jedoch unwiderruflich entschwinden mußte, sobald sie
vergessen hätten, was welcher Buchstabe bedeutet.“xii

Die vorausgegangene Situation aus Márquez’ Buch illustriert die Situation der
informierten Welt. Die informierte Welt ist eine gewisse Lizenz von
Zusammenstellungen von Aufschriften, die ständig so ergänzt und abgeändert
werden, daß die gesamte Zusammenstellung von Etiketten benutzbar ist (daß sie
praktisch ist), daß sie, falls dies möglich ist, gut verständlich ist und daß sie, falls
dies überhaupt geht, nur auf weitere Etiketten verweist, und daß es, falls möglich,
so wenig wie möglich Etiketten gibt. Manche Etiketten fehlen letztendlich bei
einem solchen Unterfangen, woanders gibt es an einem Platz wiederum mehrere
Etiketten.
Nur derjenige, der als letzter ein Etikett aufgeklebt hat, kann die Information
erteilen, wo das Etikett zuerst war und welche die ursprüngliche Bezeichnung war.
Er weiß, daß gestern hier auf der „Himbeere“ eine Etikett mit der Bezeichnung
„Erdbeere“ war, zusammen mit einer Gebrauchsanweisung, daß man sie „trocknen“
muß, „einfrieren“ und danach mit „Petersilie mischen“ muß. Wer zu spät kam,
mampft etwas anderes. Auf diese Weise verwirrt, haben alle „recht“. Sie können es
auf durch Anweisung auf dem Gegenstand mit der ursprünglichen Bezeichnung
„Wahrheit“ kontrollieren. Diese Anweisung ist jedoch mit einem Schlüssel
verschlossen (oder mit einem „Schlüssel“?), an seiner Stelle ist nur ein weiterer
Verweis („Verweis“). Falls jemand irrtümlich eine richtige Erdbeere ißt, merkt es
meistens weder er selbst, noch jemand anderes, ißt er jedoch statt der Erdbeere ein
Etikett, wird der Esser mit vorübergehendem oder dauerhaftem Ausschluß aus dem

Spiel bestraft. Er wird verdächtigt zu schwindeln. Zu beweisen gibt es jedoch
nichts, und so spielt der Esser meistens bald wieder das Spiel mit sich selbst. In der
Zwischenzeit ist nämlich wieder begonnen worden zu spielen. Von Anfang an? Von
„Anfang“ an?
In dieser Situation ist es ungünstig, sich irgend etwas außer der letzten Plazierung
der Etiketten zu merken. Werden die Geschichten nicht erlebt, dann werden sie zu
Instruktionen, zum Programm oder verfallen in Vergessenheit. Das Vergessen einer
Geschichte und eines Erlebnisses verursacht, daß sie durch Etiketten und
Gebrauchsanweisungen ersetzt werden. Ein Etikett wird zum Wissen: ich weiß, daß
ich nicht weiß, was ich weiß. Dinge existieren nicht, es existiert ein Etikett von
ihnen, das sich nicht einmal auf sich selbst bezieht.
So bleiben nur Verweise auf Verweise; diese sind die einzige Realität. Die Frage
nach dem „Grund“ wird unsachlich und unmodisch, die „Wahrheit“ ist das, was
morgens durch das Aufhängen einer Fahne mit einer Aufschrift bekannt gegeben
wurde (man kann sie nicht gut sehen). Worum spielen wir in diesem Spiel? Wir
spielen um Zeit, und ähnlich wie bei einem Spielautomat kann man nicht gewinnen.
Jedes Spiel ist ein Verlieren. Es geht nicht um das Spiel. Ein agonistisches Spiel
verändert sich langsam in Agonie.

Das Ende der Geschichte

Eine Geschichte erzählt von unserer Umgebung, sie erzählt von dem, womit wir uns
beschäftigen, worüber wir spekulieren können. In der informierten Welt ist die
Geschichte nicht verlorengegangen, wir können sie nicht übersehen: sie wird
jedoch völlig einseitig interpretiert. Alles wird zu einer Geschichte. Jede nur
denkbare Aufeinanderfolge wird als eine Geschichte interpretiert, als eine
Gebrauchsanweisung, ein Programm für einen Automaten.
Eine Geschichte erzählt davon, was geschehen ist, weil es geschehen konnte, sie
erzählt von dem, von dem man glauben kann, daß es eingetreten ist (also was
geschehen kann), sie ist Raum für das Wissen. Wenn absolut alles möglich ist (oder
absolut nichts), verliert eine Geschichte ihre Begründung. Nichts wird wiederholt,
alles wiederholt sich. Das Ende der Welt ist eingetreten. Man kann es jedoch auf
keinen Fall erkennen. Und so nimmt es keiner zur Kenntnis. Alle sind davon
eingenommen, daß das Ende der Welt erwartet wird.
Die vollkommen informierte Welt erinnert an eine Situation nach dem Ende der
Welt. Jegwelche Tat oder ein Geschehnis sind gleich wichtig, sind ohne
Wichtigkeit, ohne Präferenz, ohne Sinn und somit ohne Bedeutung. Sie sind
ungefähr so bedeutsam, als wenn sie überhaupt nicht stattgefunden hätten. Haben
sie wirklich stattgefunden? Wir haben nichts gesehen und gehört, wir haben nur
eine Nachricht davon. Nichts kann den Gang des allumfassenden und sich selbst
regulierenden Mechanismus beeinträchtigen. Er kann höchstens kurzzeitig ins
Stocken geraten.
Das was geschieht, passiert niemals. Nach dem Ende der Welt bleibt nichts übrig.
Niemand kann sich an das Ende der Welt erinnern. Es geschah, und nach ihm kann
niemals mehr etwas passieren. Der Messias kam, aber niemand hat Notiz von ihm
genommen, niemand hat ihn erkannt. Jeder kann ihn jedoch, wenn er will,
erwarten, es geht nur um ein Spiel. Um welches? Um ein sprachliches? Zwischen
dem, ob das Ende der Welt wirklich stattgefunden hat oder nicht, ist kein
Unterschied mehr. Es hat sogar keinen Sinn mehr von ihm zu sprechen. Wohin und
zu wem gehörte der Erlöser, von dem keiner Notiz nahm? Was für eine Welt war
das, bevor sie endete? Was ist von ihr übriggeblieben? Wer zieht ihren Stecker aus
der Steckdose? Können wir ein neues Ende der Welt erwarten?
Der Wind erhebt sich.

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